Steuerparadies Belgien im Visier der EU

Belgien hat nach Einschätzung der EU-Kommission multinationalen Konzernen illegale Steuervorteile gewährt und zwingt das Land, rund 700 Millionen Euro nachzufordern. Bläst Steuersündern in der EU jetzt ein härterer Wind entgegen?

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Delo (SI) /

Großunternehmen endlich ordentlich besteuern

Steuererleichterungen für internationale Großkonzerne sind unannehmbar und schädlich, meint die linksliberale Tageszeitung Delo und fordert härtere Maßnahmen von der EU-Kommission:

„Damit der Kampf der EU-Kommission für eine gerechtere Besteuerung erfolgreich ist, muss sie die Steueroasen erfolgreicher austrocknen. Die Kommission muss außerdem beim Errichten des europäischen Systems zur Besteuerung von Unternehmen größere Erfolge erzielen. Ohne dies kann man das Steuerdumping nicht ausrotten. Versuche einer solchen Regelung wurden bisher auf EU Ebene von den Mitgliedsstaaten regelmäßig blockiert. Auf das Recht auf Wettbewerb und eine aggressive Art Investitionen anzulocken, will niemand verzichten.“

The Guardian (GB) /

Noch mehr Großkonzerne zur Kasse bitten

Das Vorgehen der EU-Kommission entspricht der Tradition, die EU als Garantin für die soziale Marktwirtschaft zu betrachten, lobt die linksliberale Tageszeitung The Guardian:

„Ein großer Teil der öffentlichen Unterstützung für die EU leitet sich aus den Versprechen von Jacques Delors und Helmut Kohl ab, um nur zwei der größten politischen Schwergewichte zu nennen. Diesen zufolge würde die Union als sozialer Markt agieren, der die europäischen Sozialstandards angesichts der Globalisierung hochhält. Wenn die EU-Kommission diese Versprechen einlösen will, muss sie genau solchen Fällen nachgehen, in denen multinationale Unternehmen supergünstige Bedingungen auf Kosten normaler europäischer Bürger erhalten. Die Regierungen Kontinentaleuropas können nicht gleichzeitig ihren Wählern Sparpakete aufzwingen und Geld auf Riesenunternehmen regnen lassen, die in sie investieren.“

Libération (FR) /

EU nicht zum Ultraliberalismus verdammt

Warum die EU erst jetzt gegen ungerechte Steuervorteile wie in Belgien vorgeht, erklärt die linksliberale Tageszeitung Libération:

„Fünfzehn Jahre lang haben die Europäer und ganz besonders die vom Portugiesen José Manuel Durao Barroso geleitete Kommission (2004-2014) an das von den Briten und Amerikanern verkaufte Märchen vom Glück im Kapitalismus geglaubt, in dem ein freier Fuchs in einem freien Hühnerstall auf Jagd geht. Die Krise von 2007 und 2008 hat gezeigt, wieviel davon wahr ist. Steuerliches und soziales Wetteifern zwischen Staaten, die am gleichen politischen Projekt beteiligt sind, wird nunmehr von den Bürgern, aber auch von den Staaten und von der Kommission als politisch und sozial inakzeptabel beurteilt. Dies beweist, dass die EU von den 'in Marmor gehauenen' europäischen Verträgen nicht zum 'Ultraliberalismus' verdammt ist. Sie ist ganz einfach eine politische Union.“

De Morgen (BE) /

Belgien muss fehlende Steuern eintreiben

Dass die Regierung das Urteil der EU-Kommission anfechten will, verwundert die linksliberale Tageszeitung De Morgen:

„Merkwürdig. Dann muss sie sich aber auch nicht wundern, dass der Eindruck entsteht, dass sie nur bei Leuten mit Sozialhilfe noch etwas holen will. ... Die 'Golden Years' der Steuervermeidung sind vorbei. Dank Lux Leaks und anderer Enthüllungen hat die Einsicht zugenommen, dass diese Art der strukturell ungerechten Steuervorteile nicht länger zu akzeptieren ist. Für die sehr große Mehrheit der Menschen, denen nichts anderes übrig bleibt, als brav ihre Steuern zu zahlen, ist das eine sehr gute Nachricht.“

La Libre Belgique (BE) /

Mittelstand soll von Steuern profitieren

Belgien könnte einen Standortvorteil verlieren, wenn es nun großflächig Steuern eintreibt, warnt die liberale Tageszeitung La Libre Belgique und hofft zugleich auf mehr Geld für den Mittelstand:

„Im Grunde war das System absolut legal und kam keinem Betrugsmechanismus gleich. Die Unternehmen haben gutgläubig davon profitiert. Den Mechanismus abzuschaffen, bedeutet die juristische Instabilität zu vergrößern, die den Firmen ohnehin ein Dorn im Auge ist. ... Die nutznießenden Firmen haben auf 50 bis 90 Prozent ihrer Gewinne keine Steuern gezahlt. Das belgische Steuersystem scheint also nett zu den internationalen Konzernen und streng zu den KMUs. Dabei gibt es genau dort viele Jobs. Diesen kleinen und mittelständischen, technologisch innovativen Unternehmen muss man durch weitere Abgabekürzungen helfen. Wenn der Staat auf 700 Millionen Steuereinnahmen von multinationalen Konzernen verzichtet hat, die er nun zurückerhalten dürfte, sollte er einen Teil davon künftig anderen Firmen widmen.“