Kroatien und Serbien scheitern mit Völkermord-Klage

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat Serbien und Kroatien vom Vorwurf des Völkermords freigesprochen. Er wies die Klagen ab, die beide Länder wegen der Massaker im Jugoslawien-Krieg gegeneinander erhoben hatten. Das Urteil verhindert gegenseitige Schuldvorwürfe und begünstigt die Aussöhnung, loben einige Kommentatoren. Andere fürchten, dass alte Wunden aufgerissen werden.

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Süddeutsche Zeitung (DE) /

Urteil ebnet Weg für Versöhnung

Der Internationale Gerichtshof hat ein kluges Urteil gefällt, meint die linksliberale Süddeutsche Zeitung: "Für Serben und Kroaten bedeutet das Urteil, dass ein Hindernis für eine Aussöhnung beseitigt ist. Keine Seite kann die andere mit dem Vorwurf des Genozids - des schwersten aller Verbrechen - in die Ecke stellen. Zudem kann keine Partei eigene Kriegsverbrechen mit dem Hinweis kleinreden, man habe sich gegen Völkermörder verteidigen müssen. Auch wenn in Kroatien nun über das Urteil gegrummelt wird, dürften doch beide Regierungen froh sein, dass der 16 Jahre alte Rechtsstreit in Den Haag vom Tisch ist. Das heißt jedoch nicht, dass die Vergangenheit jetzt zu vergessen ist. Kroaten und Serben sollten sich nicht nur mit ihren Opfern, sondern auch mit ihren Tätern konfrontieren, in Verhandlungen, im Geschichtsunterricht und vor nationalen Strafgerichten. Nur wenn das geschieht, wird echte Versöhnung möglich."

Pravda (SK) /

Den Haag reißt alte Wunden auf

Die Aussöhnung von Kroaten und Serben wird durch das Urteil von Den Haag sicherlich nicht gefördert, meint die linke Tageszeitung Pravda: "Das 20. Jahrhundert gab der Welt ein neues Wort - Genozid. ... Dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist vom internationalen Recht klar definiert, als 'vorsätzliche und systematische Vernichtung ganzer oder teilweiser ethnischer, rassischer oder nationaler Gruppen'. Das Problem: man kann nur schwer definieren, was 'teilweise' heißt. ... In Vukovar oder Srebrenica verübten Kroaten und Serben die bestialischsten Verbrechen seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Um Völkermord aber hat es sich laut dem Haager Gericht nicht gehandelt. In jedem Fall besteht kein Zweifel daran, dass es sich um ethnische Säuberungen handelte. ... Das salomonische Urteil, das beide Seiten von Schuld freispricht, trägt ganz entschieden nicht zur Aussöhnung beider Völker bei. Es reißt eher alte Wunden wieder auf."

Der Standard (AT) /

Serben und Kroaten fehlt Mut zur Aufarbeitung

Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Krieg in beiden Ländern bis heute nicht aufgearbeitet wurde, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "In Kroatien wie in Serbien fehlte der Mut dazu. Man wollte lieber nationalistische Gefühle immer wieder aufladen als die Fakten anerkennen. Das historische Versäumnis der Aussöhnung hat tagespolitische Auswirkungen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass der politische Wille in nächster Zeit aufgebracht werden wird, endlich das Erinnern nicht mehr als eine Art Aufrechnungskrieg zu führen. So hat bereits der Freispruch für den kroatischen Ex-General Ante Gotovina im Jahr 2012 dazu geführt, dass sich das Verhältnis zu Serbien verschlechtert hat. Vom serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic, einem ehemaligen Tschetnik, ist keine ehrlich gemeinte politische Aufarbeitung der Verbrechen in den 1990ern zu erwarten. Und auch in Kroatien geht man auf Abwehr."

Jutarnji list (HR) /

Frieden kommt sowieso nicht aus Den Haag

Die von Kroatien demonstrierte Unzufriedenheit ist unangebracht und wenig zielführend, kritisiert die liberale Tageszeitung Jutarnji List: "Recht ist nicht Gerechtigkeit, heißt es nun in Kroatien von allen Seiten. … Schuld am unbefriedigten Gerechtigkeitsgefühl ist aber nicht das Urteil, sondern sind die irrealen Erwartungen. ... Das Den Haager Gericht oder sonst irgendeine internationale Instanz werden Kroatien und Serbien niemals den Frieden bringen. Er kann nur von innen heraus kommen. Den Frieden können nur die politischen Führer in Belgrad und Zagreb initiieren. Eine kluge und verantwortungsvolle Politik wäre, wenn man diese Genozid-Nummer, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war, endlich in der Schublade verschwinden lässt und sich konkreten Dingen zuwendet und unter anderem die noch offenen Kriegswunden versorgt."