Tsipras will Griechen wieder wählen lassen

Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat am Donnerstag seinen Rücktritt erklärt. Voraussichtlich Mitte September stehen Neuwahlen an, bei denen er nach eigenem Bekunden ein starkes Mandat für seine Partei anstrebt. Die Entscheidung des Premiers könnte Griechenland und Europa gleichermaßen stabilisieren, loben einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Tsipras die Bürger absichtlich wählen lässt, bevor sie die Auswirkungen des Sparprogramms spüren.

Alle Zitate öffnen/schließen
Il Sole 24 Ore (IT) /

Dem Mann gebührt ein Platz im Olymp der Politik

Mit seinem Rücktritt beweist Tsipras ein weiteres Mal Mut und Raison, jubelt die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Allein gegen alle war Tsipras vor fünf Wochen in Brüssel kühn genug, vor dem Diktat Europas zu kapitulieren, um sein Land vor der sicheren Katastrophe zu retten. Dann gelang es ihm, nach sechs Monaten ideologischen Provokationen und unmöglichen Forderungen, in nur 30 Tagen ein drittes Hilfspaket für Griechenland auszuhandeln. Sollte er es nun schaffen, auch diese dritte Prüfung brillant zu bestehen und die Sanierung und Modernisierung Griechenlands voranzutreiben, könnte Tsipras nicht nur ein Platz auf dem Olymp der großen griechischen Staatsmänner gebühren, sondern könnte er auch zu einer Bezugsperson für die neue europäische Politik werden: der Mann, der mit einer unglaublichen und weitsichtigen ideologischen Kehrtwende den Grexit verhindert hat, hat nicht nur sein Land gerettet, sondern auch den Euro. Er hat gezeigt, dass der Mut zur geistigen Flexibilität - eine seltene Tugend in der europäischen Kultur und Lehrmeinung - letztendlich eine moralische Pflicht für alle ist."

Polityka (PL) /

Klare Mehrheit in Athen stabilisiert auch EU

Ein Sieg von Ex-Premier Alexis Tsipras bei den Wahlen im September würde Griechenland und ganz Europa stabilisieren, glaubt die Onlineausgabe des linksliberalen Nachrichtenmagazins Polityka: "Es gibt derzeit niemanden, gegen den er verlieren könnte, weil die griechische Gesellschaft zu ihm überhaupt keine Alternative sieht. Was bedeutet nun dieser weitere politische Wendepunkt für Europa? Schließlich ist ein Wahlkampf erst einmal für jede Volkswirtschaft schwierig. Doch sollte man nicht gleich in Panik ausbrechen. Vieles deutet darauf hin, dass Tsipras endlich eine stabile Mehrheit erreicht. Dies könnte die Stimmung in Griechenland verbessern, das vor kurzem noch von einem Bankrott bedroht war, und damit könnten sich nach einer gewissen Zeit auch die Beziehungen zur EU wieder normalisieren. Ruhe ist genau das, was dieses Land momentan am meisten braucht, um langsam wieder aus der Krise herauszukommen."

La Libre Belgique (BE) /

Der Wind steht günstig für Tsipras

An ein Pokerspiel erinnert fühlt sich nach dem Rücktrittsgesuch die Tageszeitung La Libre Belgique und hält es für wahrscheinlich, dass Tsipras dieses gewinnt: "Um zu entscheiden, ob er eine Initiative ergreift oder nicht, muss der Spieler, noch bevor er seine Karten erhält, das Kapital schätzen, das er einsetzen kann. Auf das Umfeld von Tsipras angewandt, lässt diese Überlegung vermuten, dass der Sieger von vor sieben Monaten die Wahl gewinnt. Ohne die Bildung einer Opposition, die in der Lage ist, Syriza den Rang abzulaufen, und ohne echte programmatische Debatte liegt das Risiko für Tsipras allein in der linksextremen Partei, der er vorsteht. ... Doch auch hier scheint der Wind für Tsipras günstig: Wenn es nicht einen massiven Parteiaustritt gibt und die Mitglieder nicht plötzlich eine neue Partei gründen, können die Syriza-Abgeordneten, die der Regierung das Vertrauen verweigern, nur für ihre eigene Partei und damit für Tsipras werben."

Protagon.gr (GR) /

Syriza-Chef riskiert seine Popularität

Alexis Tsipras schickt die Griechen wieder an die Urnen, bevor sie mit den Auswirkungen des neuen Sparmemorandums konfrontiert werden und er den Rückhalt der Bevölkerung verliert, erklärt das liberale Webportal Protagon: "Die Wahlen werden abgehalten, bevor die Bürger die Bescheide für die neue Immobiliensteuer bekommen (die Tsipras abschaffen wollte), bevor die Renten gekürzt werden (was für Tsipras zuvor ein Tabu war), bevor die Bürger die Steuerbescheide bekommen. … Er will Neuwahlen, mit dem Hauptziel, die anderen Parteien unorganisiert zu erwischen und den Schaden zu begrenzen, der aus der Ausübung des Regierungsamtes resultiert - in der Hoffnung, dass er nach der Wahl immer noch die Entscheidungen trifft. … Bis jetzt scheinen die Bedingungen günstig zu sein. Doch dies könnte sich ändern. Im Fall Tsipras könnte der Volksmund gelten: Ein Dieb entwischt ein erstes Mal, und auch ein zweites Mal, doch beim dritten Mal schnappt man ihn."