Obama und Putin uneins über Syrien-Strategie

US-Präsident Obama und Russlands Präsident Putin haben am Montag in New York grundverschiedene Positionen zum Kampf gegen die IS-Terrormiliz im Nahen Osten präsentiert. Es ist ohnehin längst zu spät die Kriegsregion zu befrieden, meinen einige Kommentatoren. Andere glauben, dass mit Moskaus Hilfe das Chaos in Syrien beendet werden kann.

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Il Sole 24 Ore (IT) /

Stunde Null im Nahen Osten

Der Nahe Osten steht vor dem totalen Zusammenbruch, lautet die düstere Prophezeiung der liberalen Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Er existiert schlichtweg nicht mehr, auch nicht auf der Landkarte. Der Krieg hat Staaten und Grenzen ausgelöscht, den Islam selbst überrannt. Sämtliche postkolonialen Strukturen sind zerbrochen, denn das einzige Element, das die Staaten als solche zusammenhielt, wie der Nationalismus in seiner extremistischsten Form (Saddam Hussein im Irak, Gaddafi in Libyen), existiert nicht mehr. Die einzige Flagge, die im Winde flattert, ist die schwarze Flagge des Kalifats, das alle kolonialen Grenzen aufgelöst hat. Den Krieg gegen das Kalifat kann man nicht mit Luftangriffen gewinnen. Das wissen sowohl Putin als auch Obama, der keine Bodentruppen einsetzen will. Sie beide und die Staaten Türkei, Iran, Saudi-Arabien, die an dem Konflikt beteiligt sind, wissen, dass für die Region die Stunde Null geschlagen hat und dass eine militärische Lösung nicht genügt, um eine Welt wieder aufzubauen, die es nicht mehr gibt."

Večernji list (HR) /

Moskau kann mit Krisensituationen umgehen

Putin bringt alles mit, um eine zentrale Rolle in der Lösung des Syrienkonflikts zu übernehmen, glaubt die konservative Tageszeitung Večernji List: "Washington will das syrische Abenteuer - ein weiteres erfolgloses Kapitel - auf jeden Fall beenden, selbst wenn es dafür Russland die Hauptrolle überlässt. Putin ist mehrfach gestärkt in die USA gekommen: Er hat die Situation in der Ukraine beruhigt, die syrische Opposition gestärkt und den Segen Deutschlands bekommen, das sich nach einem Stopp der Sanktionen gegen Russland und einem Ende der Flüchtlingskrise sehnt. ... Russland hat am Beispiel Tschetscheniens, der Stabilisierung einiger islamischer Staaten in seiner Nachbarschaft und der Zerschlagung des sogenannten Kaukasus-Emirats gezeigt, dass es mit Krisensituationen umgehen kann. Wenn die USA nicht mitmachen, dann kämpft Russland mit Iran und China gegen die IS-Terrormiliz. Wie auch immer, Putin wird in den Augen Europas der Sieger sein. Und Europa langfristig in seiner Schuld stehen."

Berliner Zeitung (DE) /

Westen hat zum Chaos in der Region beigetragen

Putins Strategie im Nahen Osten ist sinnvoller als die der westlichen Mächte, meint der Historiker Götz Aly in einem Gastbeitrag für die linksliberale Berliner Zeitung: "Russland ist es wesentlich zu verdanken, wenn sich die Welt nun endlich dazu bequemen sollte, den syrischen Bürger- und Stellvertreterkrieg mit einer Kombination aus politischen und militärischen Mitteln zu beenden. In erheblichem Maße verstärkt haben die Westmächte und ihre medialen Vorbeter das himmelschreiende irakische, libysche und syrische Chaos. Sie stellten Ausbilder, schickten Waffen an angeblich demokratische Aufständische in Syrien, die dann scharenweise zum IS und der Al-Nusra-Front überliefen. Die USA statten irakische Soldaten mit modernsten schweren Waffen aus. Doch machten sich die vermeintlichen Waffenbrüder sofort aus dem Staub und überließen ihre nagelneuen Fahrzeuge und Kriegsgerätschaften den radikalislamischen Terroristen."

Tages-Anzeiger (CH) /

Mit Russland ist wieder zu rechnen

Wladimir Putin präsentiert Russland neuerlich als Supermacht, meint der linksliberale Tages-Anzeiger: "Es war vielleicht der schwerste Fehler des Friedensnobelpreisträgers [Obama] während der Ukrainekrise, Russland als Regionalmacht zu bezeichnen. ... 'Wir sind nicht davon besessen, eine Supermacht sein zu müssen', sagte Putin. Der Aufmarsch in Syrien, der ihn zum am meisten beachteten Redner bei der 70. Generaldebatte der Vereinten Nationen machte und ihm endlich ein Treffen mit dem US-Präsidenten bescherte, spricht eine andere Sprache. Obamas Regionalmachtaussage hat Putin damit widerlegt. Möglicherweise war das sogar eines der wichtigsten Ziele der Aktion. Putin hat klargemacht, dass man wieder mit Russland rechnen muss. Wenn das nun auch im Westen verstanden wurde, hat das vielleicht auch sein Gutes. Denn dann wird hoffentlich mehr Politikern klar, dass in der Auseinandersetzung mit Moskau flapsige Sprüche nicht weiterhelfen."