Brexit: London stellt Bedingungen

Bei einem Besuch in Berlin hat Großbritanniens Finanzminister George Osborne Reformen für die EU gefordert, um einen Brexit abzuwenden. Kommentatoren raten der Union, London häppchenweise Zugeständnisse zu machen. Andere bezweifeln, dass diese die Briten davon überzeugen können, im Referendum für den EU-Verbleib zu stimmen.

Alle Zitate öffnen/schließen
Il Sole 24 Ore (IT) /

Briten mit Zugeständnissen bei der Stange halten

London setzt mit seinen Forderungen auf die Angst der EU-Partner vor dem Brexit, analysiert die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore und fordert von der Union, diesen mit gut durchdachten Maßnahmen zu verhindern: "Sollte sich bei der Abstimmung über den Brexit der Wunsch nach einer klaren Loslösung durchsetzen, würde die Lunte des EU-Austritts Feuer fangen. Dieses Feuer würde sich in Windeseile ausbreiten und zunächst, bevor es Berlin und Paris erfasst, in den peripheren Staaten um sich greifen. Denn diese sind weitaus mehr den Winden der Demagogie und des Populismus ausgesetzt. Folglich bleibt die Suche nach vernünftigen Zugeständnissen an das Vereinigte Königreich die einzige Möglichkeit, den Brexit zu verhindern, da jenes kein Interesse daran hat, zu einer stärker integrierten EU dazuzugehören. ... Doch ist es Aufgabe der  EU-Partner, dafür zu sorgen, dass diese Zugeständnisse wirklich besonnen und folglich derart gestaltet sind, dass sie den Integrationsprozess keinen Tag hinauszögern, geschweige denn blockieren. Denn die Eurozone braucht mehr Integration."

The Daily Telegraph (GB) /

Versprechen allein werden Brexit nicht abwenden

Die Forderung des britischen Schatzkanzlers, Großbritannien von Rettungsschirmen für Euroländer auszuschließen und dem Land größere Freiräume innerhalb der EU zu garantieren, begrüßt der konservative Daily Telegraph und zeigt sich zugleich skeptisch: "Jede Vereinbarung, die Großbritannien vor einer zunehmenden Eingliederung in die Eurozone schützen soll, wird die britischen Wähler des Referendums schwerlich überzeugen. Damit solche Sondervereinbarungen auch wirklich Bedeutung haben, müssen sie in den EU-Verträgen festgeschrieben werden. Es besteht jedoch wenig Aussicht, dass dies geschieht, bevor Großbritannien wählt. Das Beste was George Osborne und David Cameron den Wählern also bieten können, ist ein Versprechen, dass sich die Verträge irgendwann nach dem Referendum ändern werden. Angesichts der natürlichen Skepsis der Wähler gegenüber solcher Versprechen dürfte man davon ausgehen, dass das alles nicht genug sein wird, um die Menschen zu überzeugen, dass Großbritannien künftig angemessen vor EU-Regulierungen geschützt wäre."

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

London will mit EU-Krisen nichts zu tun haben

Die britische Regierung will Europa mit all seinen Krisen sich selbst überlassen, klagt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: "Finanzkrise, Euro-Krise und Flüchtlingskrise werden ... mit gezielter Regelmässigkeit genutzt, um die Integration im Namen der Krisenbekämpfung forsch voranzutreiben. Auch Osborne begrüsste in Berlin gar explizit eine tiefere politische und fiskalische Integration der Euro-Zone, um 'einen starken Euro' zu ermöglichen, an dem auch Grossbritanniens Wirtschaft ein Interesse habe. Gleichzeitig wäre diese Entwicklung das Letzte, an welcher der nüchterne Schatzkanzler sein Land teilhaben lassen wollte. Denn er weiss, dass sie in die falsche Richtung führt, da zentrale Werte wie Subsidiarität, Selbstverantwortung und demokratische Kontrolle ihr zuwiderlaufen. Die pragmatischen Briten wollen Europa mit all seinen Krisen sich selbst überlassen. Das ist der enttäuschende Kern eines Deals, der Grossbritannien in Europa halten soll."