Papst Franziskus trifft Patriarch Kyrill

Fast 1.000 Jahre nach der Kirchenspaltung haben sich erstmals der Papst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche getroffen. Ist die Begegnung zwischen Franziskus und Kyrill auf Kuba ein echtes Zeichen der Ökumene oder muss sie vor allem politisch interpretiert werden?

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15min (LT) /

Weltliche Kritik am Papst ist lächerlich

Den Vorwurf einiger Kommentatoren, dass der Papst sich beim Treffen mit Patriarch Kyrill vom Kreml instrumentalisieren lässt, bewertet der christlich orientierte Kolumnist Tomas Viluckas auf dem liberalen Portal 15min als Unsinn.

„Der Vatikan gehört keinem Block und keinem internationalen Bündnis an. ... Ihm sind die Interessen der Gläubigen wichtiger als das Spiel der Mächte. Menschenrechte, Nationalismus und Demokratie gelten dem Katholizismus nicht als Basis sondern werden theologisch interpretiert. Deshalb darf der Papst Diktatoren treffen, isolierte Länder besuchen und frei in manchen politisch komplizierten Situationen handeln. Mit solcher Diplomatie kann der freie Vatikan in manchen internationalen Verhandlungen helfen. ... Es ist unhaltbar, dem Papst wegen des Havana-Treffens Naivität oder Anbiederung an Russland vorzuwerfen. Der Papst weiß, was er macht und seine Handlungen werden nicht beeinflusst durch die Spannungen zwischen Russland und dem Westen.“

Gândul (RO) /

Zwischen Nationalismus und Orthodoxie

Als inoffiziellen Botschafter des russischen Präsidenten sieht die Onlinezeitung Gândul Patriarch Kyrill:

„Das Projekt des neuen Zaren Putin sieht Orthodoxie und Nationalismus als zwei geostrategische Pfeiler vor. … Im Herbst 2014 hielt der Patriarch beim Besuch einer Flugzeugfabrik den Arbeitern dort eine Rede wie sie auch Putin gehalten hätte - über die Bedeutung Russlands als Großmacht. Nach der Annexion der Krim, während der Ukraine-Krise, zur Intervention in Syrien - immer predigte Kyrill von der Kanzel rechtfertigende und zustimmende Worte. Es ist noch zu früh zu sagen, welchen Stellenwert das Treffen zwischen Kyrill und dem Papst in Havanna hat. … Papst Franziskus verfolgt damit seine eigene Politik der Ökumene und der Öffnung. Was den Patriarchen Kyrill hingegen betrifft, wissen wir nicht, welche geopolitischen Spiele er verfolgt.“

Deutschlandfunk (DE) /

Papst ist kein Putin-Versteher

Auch wenn Moskau das Treffen von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill politisch ausschlachten wird, ändert dies nichts an dessen Botschaft, meint der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk:

„Die römische und die russische Kirche nähern sich an - Putin wird diese Bilder nutzen. Denn russischer Staat und russische Kirche sind sich nah. Sehr nah. Auch wenn katholische Kreise das jetzt runterspielen: Putin und Kyrill sind ideologische Waffenbrüder. Mit Weihrauch wird russischer Nationalismus abgesegnet. Oder konkreter: Das Moskauer Patriarchat hat zuletzt den russischen Kriegseinsatz in Syrien als heilig bezeichnet. ... [Der Papst] würde dem entgegenhalten: Schaut bitte auf den großen Zusammenhang. ... Eine orthodox-katholische Annäherung kann in naher oder mittlerer Zukunft das Signal senden: Seht her! Selbst wenn ein Konflikt 1.000 Jahre alt ist, er lässt sich überwinden.“

Magyar Nemzet (HU) /

Treffen von historischer Tragweite

Das Treffen zwischen Franziskus und Kyrill könnte eine Zeitenwende in der Geschichte der christlichen Glaubensgemeinschaft markieren, meint die konservative Tageszeitung Magyar Nemzet:

„Nach knapp 1.000 Jahren der Spaltung und der Gegensätze haben der Katholizismus und die Orthodoxie an einem schier unwirklichen Ort, im Warteraum des Flughafens von Havanna, einander die Hand gereicht. Das Ereignis war mehr als nur eine Geste. ... Es war ein Symbol, das über die Geschichte und die Gegenwart hinausreicht. ... Es war eine kolossale Wende, ein Signal von großer Tragweite an die Gläubigen dieser Welt. ... Das Treffen war vor dem Hintergrund der anhaltenden Unruhe in der muslimischen Welt auch eine geopolitische Notwendigkeit. Die beiden Kirchenoberhäupter hatten mithin viele Fragen zu erörtern, unter anderem jene, wie die neue Weltordnung aussehen wird.“