Konflikt um Berg-Karabach wieder aufgeflammt

Der seit Beginn der 1990er Jahre schwelende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Berg-Karabach ist Anfang April wieder aufgeflammt. Kommentatoren haben verschiedene Erklärungen für die Eskalation.

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Latvijas Avīze (LV) /

Kreml sichert sich Einfluss im Kaukasus

Wer hat eigentlich vom Wiederaufflammen des Konflikts in Berg-Karabach profitiert, fragt die Tageszeitung Latvijas avīze:

„Wohl vor allem die Staatsoberhäupter beider Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan, die in dieser kurzen Zeit Gelegenheit hatten, ihren festen Willen und Patriotismus zu zeigen, indem sie ihre Länder in einen 'fairen Kampf' geführt haben. Jedenfalls waren in Jerewan genug Freiwillige, die sich gern an der Landesverteidigung beteiligen wollten. Und das gleiche gilt auch für Baku. Es ist doch bekannt, dass bei lahmender Wirtschaft und vielen unzufriedenen Bürgern ein kleiner Krieg die beste Lösung ist. ... Und der Kreml hat nicht nur von Waffenlieferung profitiert, sondern auch eine dauerhafte Kontrolle über Baku und Jerewan bekommen. Denn eine Spannung zwischen diesen Ländern, wo aus heißen Kohlen schnell eine Flamme entsteht, ermöglicht den Einfluss nicht nur in beiden Ländern zu halten, sondern eine entscheidende Rolle im gesamten Kaukasus zu spielen.“

Neatkarīgā (LV) /

Kämpfe als Ablenkungsmanöver

Als Versuch Aserbaidschans und Armeniens, von ihrer prekären wirtschaftlichen Lage abzulenken, sieht die national-konservative Tageszeitung Neatkarīgā die jüngsten Kämpfe in Berg-Karabach:

„Der Konflikt hat eine mehr als 100 Jahre alte ethnische und religiöse Geschichte, doch dass er jetzt wieder aufflammt, hat mit der wirtschaftlichen Katastrophe in beiden Ländern zu tun. Der Lebensstandard dort ist in den letzten Jahren rasant gesunken. Vor allem in Aserbaidschan, wo das Land mit hohen Ölpreisen einen richtigen Aufschwung erlebt hat. Doch die jetzigen dramatisch niedrigen Ölpreise bereiten dem Land ernsthafte Probleme. Schon immer hatten die Länder für solche Situationen einen Rettungsring, um die Aufmerksamkeit von wirtschaftlichen Problemen abzulenken: Ein kleiner kurzer Krieg.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Moskau will keinen Stellvertreterkrieg

Dass Russland in Berg-Karabach zu einem Stellvertreterkrieg bereit ist, hält der linksliberale Tages-Anzeiger für unwahrscheinlich:

„[Russlands Außenminister] Lawrow hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, den Friedensprozess in Nagorny Karabach voranzubringen und dabei vorgeschlagen, russische Friedenstruppen in der Region zu stationieren. Einige westliche Beobachter befürchten, dass Russland so seine Macht in einem Gebiet ausbauen will, das es als Teil seines angestammten Einflussbereiches betrachtet. Doch Russland kann sich neben seinem Engagement in Syrien, dem Grenzkonflikt mit der Ukraine und der Annexion der Krim-Halbinsel kaum noch einen weiteren Konfliktherd leisten. So ist es am wahrscheinlichsten, dass in den letzten Tagen gekämpft wurde, weil zwei Erzfeinde mal wieder Kräfte messen wollten. Beide können damit von innenpolitischen Schwächen ablenken.“

Adevărul (RO) /

Aus der Krisenregion dringt nur Propaganda

Aserbaidschan und Armenien haben am Montag erneut Gefechte um Berg-Karabach gemeldet, bei denen weitere 13 Menschen getötet wurden. Die Nachrichten aus der Region stammen von den Konfliktparteien und sind mit Vorsicht zu genießen, meint Journalist Mircea Barbu auf seinem Blog bei der liberal-konservativen Zeitung Adevărul:

„Solange wir gierig sind nach Bildern und Nachrichten über den 'Krieg aus Berg-Karabach', und solange diese nicht von unabhängigen Quellen kommen, machen wir nichts anderes, als die Propaganda-Aktionen der beiden Regime zu bestätigen. ... Währenddessen werden tausende Aserbaidschaner und Armenier bewaffnet an die Front geschickt, ganz gleich, ob sie verstehen, was da passiert, oder nicht. Im Schatten der Propaganda, die aus Armenien und Aserbaidschan kommt, bleiben ihre Geschichten und die der Zivilisten, die auf jenem kleinen Landstrich zwischen zwei Ländern gefangen sind, undokumentiert und gut versteckt.“

România liberă (RO) /

Geopolitische Interessen prallen aufeinander

Der wieder aufgeflammte Konflikt um Berg-Karabach ist Teil eines geopolitischen Spiels, in dem auch die USA mitmischen, analysiert die konservative Tageszeitung România Liberă:

„Die Gefechte könnten ein Signal der Türkei sein, die damit auf die russische Einmischung in Syrien reagiert und vor allem Moskau vor einer Einmischung in der Kurdenfrage warnt. Und die USA spielen auch eine Rolle: Aserbaidschan startete den Konflikt nach dem US-Besuch seines Präsidenten. Einige Experten meinen, dass Washington auf diese Weise versuche, Putin zu mehr Zurückhaltung in den Konflikten in Syrien und der Ukraine zu drängen. … Die USA wollen, dass dieser Konflikt nicht wieder einfriert, denn so kann er jederzeit als Verhandlungsmasse eingesetzt werden. Russland hingegen setzt auf einen eingefrorenen Konflikt. Doch hat es gerade ernsthaftere Probleme und keine Lust auf einen Krieg in dieser Gegend. Bleibt das so? Fest steht, für Armenien und Aserbaidschan wäre ein Krieg die totale Katastrophe. “

taz, die tageszeitung (DE) /

Gefahr eines russisch-türkischen Konflikts

Weil Armenien als Schützling Russlands gilt und Aserbaidschan ein Verbündeter der Türkei ist, könnten die Interessen Moskaus und Ankaras im Konflikt um Berg-Karabach direkt aufeinander prallen, warnt die linke Tageszeitung taz:

„Längst hat Aserbaidschan seine militärische Unterlegenheit gegenüber dem Intimfeind Armenien aufgeholt. Und es hat einen neuen Bündnispartner, der Aserbaidschan auch militärisch zur Seite stehen könnte: die Türkei. Die armenischen Grenzen werden von russischen Grenzsoldaten geschützt. Bei einem neuen Krieg um Berg-Karabach könnten sich somit russische und türkische Soldaten gegenüberstehen. Die internationale Staatengemeinschaft muss die Okkupation mehrerer aserbaidschanischer Regionen durch Armenien verurteilen. Und sie muss gleichzeitig Aserbaidschan klarmachen, dass es kein Recht hat, in dieser explosiven Region einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen.“