Ist die Nullzinspolitik der EZB richtig?

Mario Draghi hat auf die deutsche Kritik an seiner Nullzinspolitik gekontert, er müsse Preisstabilität für die gesamte Eurozone wahren, nicht nur für Deutschland. Gleichzeitig kündigte er an, den Leitzins auf dem historischen Tief zu lassen. Sind Berlins Beschwerden berechtigt oder eine Einmischung, die zu weit geht?

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The Economist (GB) /

Statt zu jammern sollte Schäuble Geld ausgeben

Nicht die Geldpolitik der EZB, sondern die verfehlte Fiskalpolitik nationaler Regierungen bremst den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa, klagt das Wochenmagazin The Economist:

„Die grundlegende Ursache für die niedrigen Zinsen und Anleiherenditen in Europa ist die angeschlagene Wirtschaft. ... EZB-Präsident Mario Draghi predigt seit Jahren, dass Geldpolitik allein die Wirtschaft nicht ankurbeln kann und dass kreditwürdige Regierungen auch eine entsprechende Fiskalpolitik machen müssen. Im Idealfall erhöhen sie die öffentlichen Investitionen. Wenn sich Finanzminister Wolfgang Schäuble höhere Erträge für Deutschlands Sparer wünscht, sollte er mehr Geld ausgeben. Stattdessen erwirtschaftet seine Regierung einen Budgetüberschuss. ... Wenn Politiker einen Sündenbock für die niedrigen Zinsen suchen, die ihre Sparer belasten, sollten sie besser in den Spiegel schauen als die EZB anzugreifen.“

Verslo žinios (LT) /

EZB lässt Sparer blechen

Für die falsche Geldpolitik der EZB müssen letztlich die Bankkunden aufkommen, klagt die Wirtschaftszeitung Verslo žinios:

„Wenn die EZB den Einlagezins für Banken bis auf minus 0,5 Prozent senkt, brächte es den Banken Verluste, dies nicht direkt die Kunden zahlen zu lassen, meint Gitanas Nausėda, Berater der SEB Bank. ... Für die Banken wird es sehr schwierig sein, die Null- oder Positivzinsen zu halten. Doch dann müssen die Kunden für ihre Spareinlagen draufzahlen. Es ist wichtig, die Systeme und Steuermechanismen der Segelschiffe zu ändern, damit diese möglichst geschmeidig durch unruhige Gewässer fahren, sagen die Experten.“

Financial Times (GB) /

Schluss mit den Interventionen Berlins

Die europäische Währungsunion kann nur dann Erfolg haben, wenn auch Deutschlands Politiker endlich die Unabhängigkeit der EZB respektieren, mahnt die Financial Times:

„Die gesetzliche Pflicht der EZB besteht darin, die Inflation zum Zielwert zurückzubringen, und nicht darin, Deutschlands Sparer zu schützen. Und weil Berlin eine Reihe von Alternativen blockiert, hat die EZB wohl kaum eine andere Wahl, als die Zinsen für einige weitere Jahre mehr oder weniger auf dem derzeitig niedrigen Niveau zu halten. ... Es untergräbt die Grundfesten der europäischen Währungsunion, wenn versucht wird, die Maßnahmen der EZB als Kampf zwischen nationalen Interessen darzustellen. Das ist auch nicht in Deutschlands Sinn. Wenn Berlin will, dass die europäische Währungsunion Erfolg hat, darf es nicht immer wieder versuchen, einen Klon der Bundesbank zu schaffen.“

Spiegel Online (DE) /

Niemand braucht das Geld der deutschen Sparer

Die Ursache für die Probleme in der Geldpolitik sieht Spiegel Online im Handeln der deutschen Regierung:

„Dass der Helikopter-Vorschlag überhaupt ernsthaft diskutiert wird, zeigt auch, wie verzweifelt die EZB inzwischen ist. Trotz Nullzinsen mäandert die Inflation seit Monaten um den Nullpunkt. Auch für einen deutschen EZB-Chef wäre das Zweiprozentinflationsziel die oberste Maßgabe - mit Zinserhöhungen, die das Geld verknappen, würde er sich noch weiter davon entfernen. Ein Dilemma. Bedanken könnte er sich dafür bei seinen Landsleuten: Die Bundesregierung strebt Haushaltsüberschüsse an, statt via Staatsanleihen die Ersparnisse ihrer Bürger in Straßen und Hochschulen zu investieren. ... Der deutsche Sparer muss sich eingestehen: Niemand braucht sein Geld. Jedenfalls nicht zu den Konditionen, die er gewohnt ist. Vier Prozent auf bombensichere Anlagen? Das gab es nur in Zeiten garantierten Wirtschaftswachstums und steigender Staatsverschuldung.“

Corriere della Sera (IT) /

Zum Glück bleibt Draghi standhaft

Draghi hat nicht nur Berlin eine Absage erteilt, sondern auch vorerst ausgeschlossen, dass Helikoptergeld gezahlt wird, lobt der Corriere della Sera:

„Das erste Nein gilt denjenigen, die von dem Frankfurter Geldinstitut und seinem Präsidenten Mario Draghi verlangen, die Strategie zu ändern, die 2012 ergriffen wurde und die einen Zusammenbruch des Euro verhindert hat. Das zweite Nein richtet sich an diejenigen, die von der EZB noch mehr fordern als sie bisher unternommen hat. Die Idee von Geldgeschenken birgt nämlich eine große Gefahr. … Die EZB kann von sich behaupten, die einzige europäische Institution zu sein, die konkrete Schritte zur Bekämpfung der Krise unternommen hat. Und sie macht auch klar, dass die nationalen Regierungen in der Zwischenzeit unpopuläre Entscheidungen zur Reduzierung der Staatsverschuldung und strukturelle Reformen verschoben haben - dabei sind sie die einzige Garantie für dauerhaftes Wachstum.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

EZB geht zu hohe Risiken ein

Mit der Fortsetzung ihrer Nullzinspolitik setzt die EZB ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten und in der Bevölkerung aufs Spiel, warnt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung:

„Von der EZB selber ist zu hören, dass ihre Massnahmen die Inflation im Euro-Raum um rund 0,5 Prozentpunkte erhöht hätten und sie dies auch für die Zukunft erwarte. Rechtfertigt dieser vergleichsweise geringe Schub für die Teuerung die zahlreichen Risiken und Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik? Oder wäre es nicht klüger, noch ein paar Pfeile im Köcher zu behalten? An den Finanzmärkten wird bereits darüber diskutiert, ob die EZB die Kontrolle verliert. Das ist eine beängstigende Entwicklung, denn Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut einer Notenbank bei der Umsetzung der Geldpolitik, der Bewahrung von stabilen Preisen und für das Vertrauen der Bevölkerung.“