Wie funktioniert multikulturelles Miteinander?

Europa ist multikulturell geprägt. Doch Ereignisse wie die Kölner Silvester-Übergriffe oder der Rücktritt eines schwedischen Politikers, der einer Frau aus religiösen Gründen nicht die Hand geben will, werfen immer wieder die Frage auf, wie das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und die Integration von Migranten gelingen kann.

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De Standaard (BE) /

Belgier müssen Grundwerte erstmal definieren

Eine in Belgien geplante Integrationserklärung für Migranten aus nicht EU-Staaten ist nach einem Gutachten des höchsten Gerichts unrechtmäßig. Die Regierung wollte Zuwanderer unter anderem darauf verpflichten, bestimmte Werte anzuerkennen. Es wäre ohnehin nur eine leere Formalität, betont De Standaard:

„Von Neu-Bürgern kann man, genau wie von Belgiern, nicht mehr fordern, als dass sie die Gesetze des Landes befolgen. Aber versprechen, dass sie das tun werden, ist nur eine reine Formsache. Gesetze gelten schließlich für alle. ... Unsere Verfassung sagt wenig über die Werte, die wir heute Menschen aus anderen Kulturen auferlegen wollen. ... Wir berufen uns gerne auf die Aufklärung, aber viele Werte, die wir heute vertreten, sind viel jünger - manche nur einige Jahrzehnte. ... Es lohnt sich, für uns selbst und andere zu formulieren, was unsere Werte heute eigentlich sind. Nur wenn wir diese selbst ernst nehmen, können sie auch von denjenigen respektiert werden, die aus anderen Kulturen zu uns kommen.“

Dagens Nyheter (SE) /

Hart gegen Parallelgesellschaften vorgehen

Mehr als dreißig Mal in diesem Jahr sind Polizisten bei Einsätzen im Stockholmer Migrantenvorort Rinkeby mit Steinen beworfen worden. Die Gesellschaft muss endlich handeln, fordert Dagens Nyheter:

„Es ist an der Zeit, die Vororte von Kriminellen und Fundamentalisten zu befreien. ... Kürzlich wurde ein norwegisches Fernsehteam verjagt, das in [dem Stockholmer Stadtteil] Husby Interviews machen wollte, in Rosengård in Malmö wurde ein Reporter angegriffen, der eine jüdische Kippa trug. ... Frauen berichten von einer Art Vororts-Kalifat, das ihre Freiheit zusehends beschneidet. Warum haben wir das geschehen lassen? Warum waren wir so tolerant gegenüber jenen, die religiöse Parallelgesellschaften errichtet haben? ... Nötig ist nun ein gemeinsamer Kraftakt für die Menschen, die in den gefährdeten Orten leben. Die Polizei muss noch stärker präsent sein. ... Die Vororte müssen so bald wie möglich ebenso funktionierende Teile der Gesellschaft werden wie andere Orte auch.“

Dagens Nyheter (SE) /

Schwedens Fernsehen zu islamfreundlich

Das Schwedische Fernsehen SVT hat einen Dokumentarfilm über islamistische Verbrechen mitfinanziert, will diesen aber vorerst nicht ausstrahlen. Als Begründung nennt der Sender Formalitäten. Erik Helmerson von Dagens Nyheter nimmt das den Verantwortlichen nicht ab:

„Ich glaube, dort, wo über Gelder für Kunst und Kultur entschieden wird, gibt es einen Meinungskorridor. Ich ahne, dass in diesem Korridor die These existiert, dass Israel im Nahost-Konflikt ein größerer Verbrecher ist als seine Nachbarn. Ich denke zudem, dass man in diesem Korridor von einer unausgesprochenen Hierarchie ausgeht: Die Gruppe der Muslime gilt demnach als strukturell untergeordnet - auf eine Art, wie dies beispielsweise für Juden nicht zutrifft. Man fürchtet Islamophobie mehr als man den Terror beleuchten will, der im Namen des Islam begangen wird. Deshalb denke ich, dass der Film im Meinungskorridor für Nervosität gesorgt hat.“

Le Point (FR) /

Frankreich muss Integration anders angehen

Die Pariser Attentate sollten Frankreich dazu zwingen, Integration neu zu denken, fordert der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in Le Point:

„Die Pariser Attentate wurden vorrangig von jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund verübt. Diese Tatsache zwingt uns dazu, unser bisheriges Integrationsmodell zu überdenken, demzufolge Integration zufällig geschieht und nur dann, wenn bei den Betroffenen ein starker Wille vorhanden ist. Frankreich bemüht sich weniger um Eingliederung, als dass die Kinder mit Migrationshintergrund von sich aus westliche Werte annehmen. Doch nicht alle von ihnen haben den Willen und den Ehrgeiz dazu. Dies erklärt ihre Frustration und das Abgleiten in die Kriminalität, wobei nicht zwangsläufig das tragische Stadium des Terrorismus erreicht werden muss. … Wir sollten die Muslime in Frankreich als uns zugehörig betrachten - dann werden sie es mit der Zeit auch.“

De Morgen (BE) /

Katholischer Einsatz für Muslime mit Eigennutz

In Flandern hat sich der Verband katholischer Schulen in einem Grundsatzpapier für die Öffnung zum Islam ausgesprochen. Er will unter anderem künftig Schülerinnen mit Kopftuch zulassen, muslimische Gebetsräume in den Schulen einrichten und Islamunterricht einführen. Doch die Intention hinter dem interreligösen Dialog sieht De Morgen skeptisch:

„In Zeiten vorherrschender Islamkritik und Islamophobie ist es mutig, offen auf andere Religionen zuzugehen. ... Wir dürfen aber nicht naiv sein. ... Die katholische Führung will mit den Muslimen eine religiöse Front gegen den Vormarsch des Laizismus bilden. ... Das reicht weit über die Schulmauern hinaus. Was hier entsteht, ist eine neue Gegenreformation, die sich nicht gegen den Protestantismus richtet, sondern gegen die 'gottlose' Gesellschaft. In so einem Kampf werden Christen und Muslime zu Verbündeten. Die Öffnung katholischer Schulen zum Islam hin mag sinnvoll und mutig sein, das Vorhaben ist es jedoch nicht.“

Expressen (SE) /

Burkini ja, extra Schwimmzeiten nein

In Schweden gibt es eine Debatte darum, ob es spezielle Schwimmzeiten für Musliminnen in öffentlichen Bädern geben sollte. Der Staat darf das nicht zulassen, mahnt Expressen:

„Spezielle Badezeiten wären ein Signal dafür, dass öffentliche Betriebe vor patriarchalischen und religiösen Forderungen zurückweichen. Staat und Kommunen würden damit zulassen, dass je nach Bereich unterschiedliche Regeln in der Mehrheitsgesellschaft gelten. Deshalb hat Kulturministerin Alice Bah Kuhnke Recht, wenn sie eine Grenze der Religionsfreiheit innerhalb der Zuständigkeitsbereiche öffentlicher Betriebe zieht. Dort darf keine religiöse oder kulturelle Rücksicht genommen werden. Genauso klar ist aber, dass Frauen, die einen Burkini tragen, in den Schwimmhallen willkommen sind.“

Kristeligt Dagblad (DK) /

Schwimmunterricht als Brücke zum Dialog

In Dänemark tobt eine Diskussion darüber, ob es richtig ist, geschlechtergetrennten Schwimmunterricht anzubieten. In Kopenhagen wird dies praktiziert, damit auch muslimische Mädchen teilnehmen können. Für Kristeligt Dagblad kann das nur eine Übergangslösung sein:

„Der Schwimmunterricht getrennt nach Geschlechtern hinter zugehängten Fenstern kann hoffentlich nur der erste kleine Schubs sein, der den Mädchen Geschmack auf mehr Freiheit und Gleichstellung macht. Das erfordert aber auch, dass Schwimmlehrer, Schullehrer und andere den Dialog mit den Eltern aufnehmen und über ihre Sorgen und ihre Sicht auf die Geschlechter sprechen. Diese Aufgabe können die jungen Mädchen nicht alleine schultern. Wenn es diesen Dialog aber nicht gibt, hat man keine Schranken eingerissen, sondern nur noch dickere Mauern zwischen den Parallelgesellschaften und der Gesellschaft errichtet, in die man alle ungeachtet von Religion, Ethnizität und Geschlecht einbeziehen will.“

Trud (BG) /

Multikulti bringt Terrorismus hervor

Dem europäischen Terrorismus widmet sich die Tageszeitung Trud und glaubt, dass dieser das Scheitern des Multikulturalismus beweist:

„Als Merkel, Sarkozy und Cameron zum ersten Mal Multikulti für gescheitert erklärten, gab es den 'Islamischen Staat' noch nicht. Jetzt kämpfen tausende in Westeuropa geborene Dschihadisten für ihn. Zwei Drittel von ihnen stammen aus Belgien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. … Der neoliberale Kapitalismus hat die Ideologie des Multikulturalismus geschaffen, doch nur dessen Gegenteil erreicht. Multikulti ist ein Nährboden für Terrorismus, Nationalismus, Neofaschismus, ethnische Ghettobildung und den Kampf der Kulturen geworden. Eine soziale und wirtschaftliche Integration hat Multikulti nicht erzielt. Stattdessen wurden die Gräben vertieft, haben sich die Gesellschaften entlang der Trennlinien kultureller und religiöser Merkmalen fragmentiert. Es ist ein Pulverfass entstanden und Multikulti ist die dazugehörige Lunte.“

Dagens Nyheter (SE) /

Wunschdenken bestimmt Integrationspolitik

In einer Artikelserie untersucht die liberale Tageszeitung Dagens Nyheter die Einwanderungs- und Integrationspolitik Schwedens. Das Blatt kommt zu dem Schluss, dass die Erwartungen an diese oft zu hoch sind:

„Was die Erfolgsaussichten von Erwachsenenbildung und schneller Qualifizierung von Einwanderern für den Arbeitsmarkt betrifft, wird die Politik vor allem von Wunschdenken bestimmt. Deshalb werden die Maßnahmen und Versprechen der Regierung schnell als falscher Ansatz gesehen. Menschen eine Zukunft vorzugaukeln, die niemals Realität wird, kann zu großen Enttäuschungen führen. Das ist mindestens ein so gefährliches Gift wie unterschiedliche Löhne.“