Wird Merkel ihren Kurs ändern?

Bundeskanzlerin Merkel hat nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern die Verantwortung für die Schlappe der CDU übernommen: „Natürlich hat das was mit der Flüchtlingspolitik zu tun“, sagte sie. Kommentatoren fragen sich, wie Merkel auf die Wahl reagieren wird und trauen ihr zu, gegen den Willen ihrer Partei Geschichte zu schreiben.

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La Repubblica (IT) /

Geschichte schreiben, gegen jeden Widerstand

Angela Merkel wird in der Flüchtlingsfrage nicht nachgeben, glaubt der Philosoph und Deutschland-Experte Angelo Bolaffi in La Repubblica:

„Wird Merkel das gleiche Schicksal ereilen wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder? Der verlor 2005 die Wahl, weil er von seiner Partei, der SPD, im Stich gelassen wurde. ... Die nächsten Wochen werden es zeigen. ... Doch sollten wir nicht vergessen, dass alle großen Wenden der deutschen Nachkriegszeit - Adenauers Bekenntnis zur westlichen Demokratie, Willy Brandts Ostpolitik, Helmut Schmidts Entscheidung, sich gegen die sowjetische Provokation der Aufstellung der SS-20-Mittelstreckenraketen zu wehren und Helmut Kohls Wiedervereinigung - eines gemein hatten: die harsche Opposition der jeweiligen Kanzler-Parteien und des Landes. Und Merkel ist überzeugt, dass die Integration der Flüchtlinge eine historische Aufgabe ist, ebenbürtig mit den Herausforderungen, die ihre Vorgänger gemeistert haben.“

Imerisia (GR) /

Auch Athen wird Folgen zu spüren bekommen

Dass der Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern auch Auswirkungen auf die Griechenlandpolitik Berlins haben wird, fürchtet die Wirtschaftszeitung Imerisia:

„Deal bleibt Deal, und die Regierung ist verpflichtet, ihn umzusetzen. Wenn wir also wieder einen dramatischen Herbst erleben, mit Verspätungen und Verschleppungen, ist das Einzige, was wir erreichen werden, dass noch höhere Anforderungen gestellt werden. Und die Stimmung in der Wirtschaft sich verschlechtert, was Auswirkungen auf die Einnahmen haben wird. Ganz oben auf der Agenda der fremdenfeindlichen AfD steht die Beendigung der finanziellen Unterstützung für Länder wie Griechenland. Daher wird Merkel gezwungen sein, ihre Position zu ändern und einer härteren Linie zu folgen. Auch in der Schuldenfrage ist es unwahrscheinlich, dass schwierige Entscheidungen vor den deutschen Wahlen getroffen werden. Daher muss die Regierung unter allen Umständen die Reihen schließen, bevor sich die Situation verschlechtert.“

Lidové noviny (CZ) /

Bis zum bitteren Ende

Angela Merkel setzt alles auf eine Karte, bemerkt Lidové noviny zur Reaktion der Bundeskanzlerin auf die Wahlschlappe von Mecklenburg-Vorpommern:

„Merkel hat aus dem fernen China deutlich gemacht, dass sie ihren Kurs zur Lösung der Flüchtlingsproblematik nicht zu ändern gedenkt. Die Entscheidungen, die ihre Regierung in den vergangenen Monaten traf, hält sie für richtig, inklusive des umstrittenen Deals mit der Türkei. Das alles erinnert ein bisschen an den Trotz, mit dem ihr Vorgänger Gerhard Schröder vor elf Jahren die Reform des Sozialstaats durchdrückte. Auch er setzte damals seinen Willen gegen den der eigenen Partei durch und provozierte dazu auch noch Neuwahlen. Soweit wird die vorsichtige Merkel sicher nicht gehen. Aber auch sie ist offenkundig entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Auch wenn das in einem Jahr bei den Bundestagswahlen ihr Ende in der Politik bedeuten könnte.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Durchziehen oder Abtreten

Angela Merkel hat bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 zwei Optionen, erklärt die Süddeutsche Zeitung:

„Die eine wäre: Durchziehen. ... Für Merkels Bewegungsspielraum, ihre Flüchtlingspolitik zu verändern, gibt es aus Gründen der Glaubwürdigkeit, aber auch aus ihrer persönlichen Überzeugung heraus eine Obergrenze. Und die liegt sehr, sehr niedrig. ... Die andere extreme Alternative wäre, das bislang Undenkbare zu denken. An den Anfang ihrer Kanzlerschaft hat Merkel den Satz gestellt: 'Ich will Deutschland dienen.' Wenn sie diesen Satz ernst nimmt, muss sie zumindest prüfen, ob Deutschland ohne sie besser gedient ist. ... Merkels Rückzug wäre allenfalls das Eingeständnis, dass die Polarisiererin nur schwer auch Versöhnerin sein kann. Das Verdienst einer mutigen Flüchtlingspolitik bliebe trotzdem. Mit der ersten Variante hat Merkel durchaus die Chance, noch einmal eine Wahl zu gewinnen. “

The Irish Times (IE) /

Wer sollte Merkel ersetzen?

Die Kanzlerin mag politisch unter Druck stehen, doch letztlich gibt es in der CDU keine Alternative zu ihr, meint Irish Times:

„Parteifunktionäre sind wegen der wachsenden Stärke der rechtspopulistischen AfD besorgt. Sie blicken ängstlich auf kommende Wahlen in weiteren Bundesländern. Sie erwarten, dass Merkel beim CDU-Parteitag im Dezember bekannt gibt, ob sie die Partei in die Bundestagswahl im Herbst führen will. Sie selbst weist Andeutungen zurück, dass das zu spät sein könnte. Wenn sie die Nominierung sicherstellen will, muss bis dahin noch viel erreicht werden. ... Es mangelt an Alternativen und noch mehr an entsprechender Kompetenz. Es ist zu hoffen, dass sie bereit ist, ihren Kurs beizubehalten, und dass sie wieder antritt.“

Wiener Zeitung (AT) /

Etablierten Parteien läuft die Zeit davon

Angela Merkel wird zum Opfer eines immer populistischeren Politikstils, beobachtet die Wiener Zeitung:

„Die politischen Eliten haben durch Globalisierungstendenzen erheblich an Entscheidungsfunktion verloren. Dennoch gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung eine Personalisierungstendenz, die nahelegt, dass die persönliche Handschrift der Spitzenpolitiker eine entscheidende innen- und außenpolitische Bedeutung habe. Es schien in der medial transportierten 'aufgeputschten' Außendarstellung so, als entscheide Merkel allein über die Rettung Griechenlands oder die Flüchtlingspolitik. Schon jetzt ist populistische Politik zum Allgemeingut, vielleicht sogar zum dominanten Politikstil geworden. Die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die durch Migration und Digitalisierung erst am Entstehen sind, geben Populisten weiterhin Nährboden. Den Etablierten bleibt nur noch wenig Zeit zur Deeskalation. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 könnte Merkel ... kaum noch vermittelbar sein.“