Merkel räumt Fehler in Flüchtlingspolitik ein

Bundeskanzlerin Merkel hat nach den Wahlniederlagen ihrer konservativen Partei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern jahrelange Fehler in der Flüchtlingspolitik zugegeben. Für einige Journalisten hat Merkel damit nicht genug Asche auf ihr Haupt gestreut. Andere sehen in ihr eine moralische Siegerin - selbst, wenn sie politisch scheitern sollte.

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Népszabadság (HU) /

Politisches Scheitern, moralischer Sieg

Selbst wenn Merkel die Flüchtlingspolitik politisch zum Verhängnis werden sollte, steht sie im Gegensatz zum zynisch berechnenden ungarischen Premier Viktor Orbán auf der richtigen Seite, lobt Népszabadság:

„Mag sein, dass Angela Merkel mit ihrer Willkommenskultur über kurz oder lang scheitern wird. Die Tochter eines evangelischen Pfarrers hat es aber zumindest versucht, was unabhängig von Erfolg oder Misserfolg auf jeden Fall große Anerkennung verdient. Sie hat moralisch richtig entschieden. Man kann sie als naiv, verantwortungslos und irregeleitet betrachten, als unmoralisch aber auf keinen Fall. Wenn sie scheitern sollte, wird jeder wissen, dass es für eine gute Sache war. ... Demgegenüber trifft auf Viktor Orbán das Gegenteil zu. Zynisch hat er die Flüchtlingskrise für seine eigenen politischen Interessen ausgeschlachtet und aus der ungarischen Volksseele das Schlechteste heraus geholt. Sein Handeln kann mitnichten als moralisch bezeichnet werden.“

Echo24 (CZ) /

Merkels Selbstkritik ist halbherzig

Merkel ist das erste Mal seit Beginn der Migrationskrise in sich gegangen, aber auch nur in Maßen, ärgert sich Echo.24:

„Es war ein Versuch, sich ein bisschen Asche aufs Haupt zu streuen, aber nicht so viel, dass ihr hinterher jemand den Kopf hätte waschen müssen. Für diejenigen, die nicht wollen, dass Europa ein Teil des Nahen Ostens wird, war das wenig. Erst der Fall Merkels wäre eine Warnung für die übrigen europäischen Politiker, dass die Öffnung der Grenzen Europas eine selbstmörderische Politik ist und dass man am Ende auch im Land mit der bravsten Wählerschaft nicht mehr als ein Jahr eine Politik gegen die eigenen Wähler machen kann. Merkel hat freilich einen Vorteil. Die CDU ist unter ihrer Führung seit dem Jahr 2000 schrittweise zu einer Partei degeneriert, in der man der Führung nicht widerspricht.“

Duma (BG) /

Reue der Kanzlerin kommt zu spät

Die deutsche Bundeskanzlerin hat ihre Fehler in der Flüchtlingspolitik viel zu spät eingesehen, schimpft die Tageszeitung Duma:

„Die mutigeren unter den europäischen Politiker haben ihr das schon lange ins Gesicht gesagt. … Dann sind die Koalitionspartner auf die Barrikaden gegangen und nun haben die deutschen Bürger sie abgestraft, um zu zeigen, dass auch sie die Schnauze voll haben - zuerst in Mecklenburg-Vorpommern und jetzt in Berlin. Das waren Protestwahlen gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, klar erkennbar an den schlechten Ergebnissen der Christdemokraten. Schwer wiegt Merkels Krone der Abgehobenheit und der falsch verstandenen Solidarität, die in einer Krisensituation unmöglich in die Tat umgesetzt werden kann. Offensichtlich spürt Merkel den Druck, da sie endlich einsieht, dass sie die Sorgen der Bürger beachten muss, anstatt sich blind um alle Neuankömmlinge zu kümmern.“

The Irish Times (IE) /

Mea culpa ist keine Kapitulation

Wer glaubt, Merkel würde sich nun reumütig von ihrer Flüchtlingspolitik oder gar der politischen Bühne verabschieden, irrt, erklärt The Irish Times:

„Merkel bemerkt ganz richtig, dass die Unzufriedenheit in Umfragen ihr keine Handlungsvorschläge liefert. Auch argumentiert sie ganz richtig, dass Flüchtlings- und Anti-Terrorpolitik nicht miteinander vermengt werden dürfen. Alternativen zu ihr als CDU-Chefin sind rar gesät. Man geht immer noch davon aus, dass sie die Partei in zwei große Landtagswahlen führen wird, bevor im nächsten September die Bundestagswahlen anstehen. Rückschläge für die Regierungspartei in deutschen Regionalwahlen sind durchaus üblich. Und auch wenn es wichtig ist, die historische Bedeutung des Durchbruchs der AfD als erster Partei rechts von der CDU nicht zu unterschätzen, gibt es gegenläufige Trends. Dazu gehören bessere Ergebnisse bei den Grünen und der Linken, die größtenteils Merkels Flüchtlingspolitik stützen.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Aufwärtstrend wieder möglich

Mit Merkels Eingeständnis, Fehler in der Flüchtlingspolitik gemacht zu haben, könnte es für die konservative CDU wieder aufwärts gehen, meint die Süddeutsche Zeitung:

„Dass der Zuzug von Flüchtlingen zu derart gewaltigen Verlusten im CDU-Lager führen konnte, lag ... auch am zentralen Versprechen der Merkel-Kanzlerschaft. Es lautete im Kern: In der Welt löst die Globalisierung gewaltige Umbrüche aus, Europa geht durch schwere Zeiten. Doch ich sorge als eure Kanzlerin dafür, dass ihr davon nichts mitbekommt und euch keine Gedanken machen müsst. Dieses Versprechen hat die politische Debatte in Deutschland sediert, aber bis zum vergangenen Herbst funktionierte es. ... Es wird für die CDU nicht einfach werden, die verloren gegangenen Wähler zurückzuholen. Dafür hat sich in Deutschland zu viel Ressentiment und Rassismus verfestigt. Aber mit der Erklärung Merkels vom Montag gibt es zumindest die Chance auf einen Frieden in der Union - und damit auf ein Ende des Sinkflugs der CDU bei Wahlen.“

Der Standard (AT) /

Werden Wähler auf Merkel hören?

Es ist völlig unklar, ob Merkels Worte die Wähler erreichen, kommentiert Der Standard:

„Aus der CDU hatte Merkel nach den vielen verlorenen Wahlen immer mehr Druck bekommen, doch jetzt mal irgendetwas zu ändern. Also gab sich Merkel reumütig und selbstkritisch wie noch nie zuvor. Von Fehlern sprach sie und davon, dass sie gerne die Zeit zurückdrehen würde. ... Das klingt schon ein wenig anders als das ewige 'Wir schaffen das', das Merkel vor kurzem noch verteidigt und jetzt aber doch kassiert hat, weil es keiner mehr hören konnte. Denn das ist ja die Sorge von immer mehr Deutschen - auch wenn die Zahl der Flüchtlinge jetzt gesunken ist: dass es noch auf Jahre hinaus immer so weitergehen wird. Allerdings ist auch jetzt eines offen: ob Merkels neue Töne bei den Wählern überhaupt noch ankommen.“