Eine neue Präsidentin für Estland

Nach wochenlangem Hin und Her hat das Parlament in Tallinn erstmals eine Frau ins Präsidentenamt gewählt. Neues Staatsoberhaupt Estlands wird die 46-jährige Biologin Kersti Kaljulaid, die zuletzt beim Europäischen Rechnungshof arbeitete. Estlands Kommentatoren setzen große Erwartungen in die Nachfolgerin von Toomas Hendrik Ilves.

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Maaleht (EE) /

Gespür fürs eigene Volk gesucht

Dass die neue Präsidentin mehr für die Bürger da sein wird als ihr Vorgänger, hofft Maaleht:

„Präsident Toomas Hendrik Ilves hat Estland Bedeutung verliehen - doch den Bürgern konnte er das nicht zurückgeben. Das ist nun Aufgabe der Präsidentin Kaljulaid: mit ihren Taten für die Menschen in Estland da zu sein. Klar, die Rolle des Präsidenten in einer parlamentarischen Republik ist begrenzt. Aber das Volk hat trotzdem das Recht, manchmal nach mütterlichem Rat oder gar Hilfe zu fragen. Das estnische Volk dürstet mehr denn je danach, dass ihr Staatsoberhaupt nicht nur ein Präsident von Welt ist, sondern auch die Sorgen seiner Landsleute wahrnimmt. Und die Menschen haben Sorgen. Viele anständige Familien sind in wirtschaftlichen Nöten, Schiffe bringen unsere Arbeitnehmer übers Meer, wichtige Dienstleistungen sind für die Menschen auf dem Land immer schwerer erreichbar. Estland ist klein, doch birgt es auf seinen 45.000 Quadratkilometern unglaubliche Kontraste, die man kennen und fühlen muss.“

Õhtuleht (EE) /

Pomp als Ablenkungsmanöver

Viel zu viel Aufhebens um die Amtsübergabe wird für Õhtuleht gemacht:

„Nun erwarten uns die Feierlichkeiten der Amtseinführung in [Schloss] Kadriorg, als ob wir es mit einer Monarchie zu tun hätten, wo ein mehrtägiges prachtvolles Fest dazugehört. Es entsteht der Eindruck, dass, je mehr diese Wahl im sowjetischen Stil kritisiert wird, die Beteiligten umso stärker das Bedürfnis haben, diese Vorwürfe unter einer Lawine von Zeremonien zu begraben. ... Eigentlich sind wir von [dem scheidenden Präsidenten] Ilves genauso verdrossen wie von [Ex-Premier] Ansip. Deshalb erwarten wir von ihm einen leisen Abgang, nicht eine Fernsehansprache an seinem letzten Tag im Amt. Was soll er uns zu sagen haben, was er nicht auch in den letzten zehn Jahren sagen konnte?“