Wie sollte Ankara auf die Anschläge reagieren?

Bei zwei Anschlägen in Istanbul sind mindestens 44 Menschen gestorben, darunter 36 Polizisten. Die Explosionen ereigneten sich Samstagabend in der Nähe des Beşiktaş-Stadions. Die PKK-Splittergruppe TAK bekannte sich zu den Attentaten. Kommentatoren beschäftigen sich mit den Hintergründen des Terrors und rufen Ankara zu einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts auf.

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Hürriyet (TR) /

Rache für türkische Syrien-Operation

Einen innen- wie außenpolitischen Racheakt vermutet der regierungsnahe Kolumnist Abdulkadir Selvi in Hürriyet hinter den Attacken:

„Die ersten eiligen Einschätzungen sahen es nicht als Zufall, dass der Anschlag an dem Tag verübt wurde, an dem die Verfassungsänderung bezüglich des Präsidialsystems dem Parlament vorgelegt wurde. ... Aber das kann nicht der einzige Grund sein. ... Die Operation Schutzschild Euphrat [des türkischen Militärs] hat die Pläne der PKK in Syrien durchkreuzt. Die PKK-YPG, die mit Einverständnis der USA zwischen Manbidsch und Afrin einen Korridor errichten, Kobane mit Afrin verbinden und anschließend in Rakka einmarschieren wollte, hat einen schweren Schlag erlitten. ... Die Organisation, die seit einer Weile auf die Chance wartete, einen Aufsehen erregenden Anschlag zu verüben, hat uns in Istanbul getroffen. Sie ist zu einem neuen Konzept übergegangen. Mit dem Ziel, die Türkei in die Knie zu zwingen.“

The Independent (GB) /

Kurdenfrage kann nur politisch gelöst werden

Das Wichtigste sei jetzt der Kampf gegen die "Pest des Terrors", sagte Präsident Erdoğan nach dem Doppelanschlag in Istanbul. Doch er sollte lieber auf eine politische Lösung mit den Kurden setzen, appelliert The Independent:

„Die Instinktreaktion Erdoğans ist es, gegen kurdische Separatisten militärisch zurückzuschlagen. Dabei werden häufig die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit oder gar die Regeln für Kriegsführung gebrochen. Diese Reaktion ist eine der gefährlicheren Drohungen. ... Ohne sich ein geografisches Auseinanderbrechen der Türkei zu wünschen, kann eine tragbare Lösung der Kurdenfrage nur in einer politischen Vereinbarung liegen. Zeitweise waren Friedensinitiativen ja erfolgreich. Der Unterschied zwischen der PKK und ihren politischen Armen auf der einen Seite und dem so genannten Islamischen Staat auf der anderen Seite ist das: In der Kurdenfrage besteht zumindest die Möglichkeit auf eine friedliche Lösung. Die PKK hat nicht das Ziel, ein mittelalterliches Kalifat in Ankara zu errichten.“

Der Standard (AT) /

Terror stärkt Erdoğan

Der türkische Präsident wird versuchen, aus dem Terror politisches Kapital zu schlagen, erwartet Der Standard:

„Jeder Terroranschlag, welcher der kurdischen Untergrundarmee PKK zur Last gelegt wird, stärkt in der Türkei nun die neue nationalistisch-islamische Allianz. Diese Allianz will die militärische Lösung der Kurdenfrage im Land und die Wiedereinführung der Todesstrafe; sie arbeitet auf die Rückkehr zu einem Führerstaat hin wie in den 1930er- und 1940er-Jahren unter Mustafa Kemal Atatürk und dessen Nachfolger Ismet Inönü; und sie nimmt auch einen Abbruch des Projekts des EU-Beitritts der Türkei in Kauf. ... Für die Kurden ist der politische Gezeitenwechsel innerhalb von nicht einmal zwei Jahren jedoch verheerend. Eine ganze Generation junger Kurden hat mit dem türkischen Staat abgeschlossen. Sie ist das Reservoir der PKK.“

Handelsblatt (DE) /

EU muss milder gegenüber Ankara sein

Die EU muss jetzt mit ihrer Forderung an Ankara, die Terrorgesetze zu entschärfen, zurückstecken, fordert das Handelsblatt:

„Keine Frage, diejenigen türkischen Gesetze, die terroristische Bedrohungen verhindern oder bestrafen sollen, sind hart und teilweise zu hart. Noch dazu werden die Paragrafen ausgereizt. Im derzeitigen Ausnahmezustand sitzen in der Türkei Menschen im Gefängnis, die dort niemals sein dürften. Trotzdem: Dass die EU weiterhin darauf pocht, die umstrittenen Antiterrorgesetze abzumildern, verkennt die aktuelle Lage der Türkei. Und es zeigt auch die Orientierungslosigkeit der Spitzen in Brüssel bei der Frage, wie der 'Partner' in der Flüchtlingskrise wahrgenommen wird. Nämlich eher als Dienstleister für die Grenzsicherung statt als tatsächlicher Partner. Diplomatischer Feinsinn würde sich darin zeigen, von dieser Forderung zunächst abzusehen.“