Merkels Gratwanderung in Ankara

Für ihren Besuch in Ankara musste Angela Merkel vorab viel Kritik einstecken. Kurz vor dem Verfassungsreferendum würde die Kanzlerin Präsident Erdoğan den Rücken stärken, hieß es. Am Donnerstag traf Merkel dann auch nicht nur ihn und Premier Yıldırım sondern auch Oppositionspolitiker. Wie souverän kann die Kanzlerin Erdoğan angesichts von Flüchtlingskrise und Wirtschaftsinteressen überhaupt begegnen?

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Dagens Nyheter (SE) /

Kanzlerin braucht Erdoğan

Im Wahljahr kann sich Angela Merkel keine neue Flüchtlingskrise leisten und ist deshalb auf Erdoğan angewiesen, meint Dagens Nyheter:

„Das Flüchtlingsabkommen hat noch nie gut gerochen. Doch den Zustrom der Menschen auf die griechischen Inseln hat das Abkommen zu einem Rinnsal gemacht, was vor allem daran liegt, dass die Balkanroute dicht ist. In den Pakt inbegriffen ist auch die Befreiung vom Visazwang für den Schengenraum. Doch dieser Punkt ist solange nicht aktuell, wie die Türkei sich weigert, die Antiterrorgesetzgebung zu ändern, die Erdoğans liebstes Werkzeug ist. Was passiert, wenn die Türkei wieder die Schleusen öffnet, kann man nicht wissen. Aber eine neue Flüchtlingskrise ein halbes Jahr vor den Wahlen möchte Merkel nicht haben. Was hat sie also Erdoğan gesagt? Geld ja, Nachgeben nein. Etwas anderes ist nicht möglich.“

Evrensel (TR) /

Hauptsache, die Wirtschaft läuft

Für die linke Tageszeitung Evrensel bedeutet der gestrige Staatsbesuch von Merkel in Ankara, dass Berlin sich mit Erdoğans Türkei arrangiert hat:

„In den vergangenen zwei Jahren hat es in den türkisch-deutschen Beziehungen zwar wegen der Pressefreiheit, dem Genozid an den Armeniern und İncirlik harte Auseinandersetzungen gegeben, aber zum Bruch ist es nicht gekommen. Diese Auseinandersetzungen haben die Arbeit beider Länder stark beeinflusst und Vorurteile vertieft. Lediglich das Kapital wurde davon nicht beeinflusst. 6.500 deutsche Firmen haben ihre Tätigkeiten in der Türkei fortgesetzt, türkische Firmen haben weiter nach Deutschland exportiert. ... Die nach außen stark zerstritten wirkenden Länder haben ihre wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit problemlos fortgeführt. Sie ist sogar auf ihrem Höhepunkt. Für die regionalen Interessen Deutschlands ist das auch das Wichtigste.“