Mélenchon rollt Frankreichs Kandidatenfeld auf

Knapp zwei Wochen vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl erreichen der linke Kandidat Mélenchon und der Konservative Fillon jeweils 18 Prozent. Sie stehen damit hinter Le Pen vom Front National und Macron von der Bewegung En marche!, die beide auf 22 Prozent kommen. Dass Mélenchon die Stichwahl erreichen könnte, ist für Kommentatoren ein Albtraum, der stark mit dem Niedergang der traditionellen Parteien zusammenhängt.

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Il Sole 24 Ore (IT) /

Nur unrealistische Versprechen

Der linke Kandidat verspricht den Franzosen den Himmel auf Erden, und das mit viel Geschick, warnt Il Sole 24 Ore:

„Jean-Luc Mélenchon ist ein geborener Redner, der es versteht, die Massen zu betören. ... Obgleich er der älteste Kandidat ist, greift er auf alle Mittel zurück, die ihm die Technologie bietet. ... So lancierte er vergangenen Freitag das Onlinespiel Fiscal Kombat, in dem der Held Mélenchon die Mächtigen des Geldes jagt, um ihnen die finanziellen Mittel abzuknöpfen, die er für die Finanzierung seines Programms benötigt. Und das sind nicht gerade wenig: über 200 Milliarden, um das Rentenalter auf 60 und die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden zu senken, den Angestellten eine sechste Urlaubswoche zu schenken, 60.000 Lehrer und 200.000 Beamte einzustellen, den Mindestlohn um 16 Prozent anzuheben und den Staat zu zwingen, jedem Arbeit zu geben. Ganz abgesehen von der haarsträubenden Idee einer gelenkten Volkswirtschaft, mit der er die 'Revolution der Bürger gegen die Präsidialmonarchie' verspricht.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Stichwahl gegen Le Pen wäre Albtraum

Auf die Gemeinsamkeiten von Mélenchon und Le Pen macht die Süddeutsche Zeitung aufmerksam:

„Sie verdammen die Globalisierung, halten wenig von liberalen Wirtschaftsreformen, wettern gegen Deutschland und verdammen die EU, jedenfalls in ihrer heutigen Form. Gewiss, Mélenchon ist insoweit erträglicher als Le Pen, als er nicht gegen Einwanderer hetzt. Ansonsten aber werben die beiden mit frappierend ähnlichen Botschaften. Bislang dachten überzeugte Europäer, die Gefahr bei der Präsidentschaftswahl gehe allein von Le Pen aus. Nun kämpft sich auch Mélenchon mit einem kraftvollen Wahlkampf in den Vordergrund. Das kann die Hoffnung vieler in Deutschland und der EU ins Wanken bringen, der Linksliberale Emmanuel Macron werde im zweiten Wahlgang Le Pen schlagen und als neuer Präsident den Élysée beziehen. Plötzlich erscheint eine Stichwahl zwischen Le Pen und Mélenchon nicht mehr völlig ausgeschlossen. Es ist das Albtraum-Szenario der EU.“

The Guardian (GB) /

Empörung über Eliten macht Außenseiter stark

Die aktuellen Umfragewerte zeugen von einer historischen Schwäche der etablierten Parteien in Frankreich, analysiert The Guardian:

„Nun führen drei Außenseiter in den Umfragen. Sie könnten in der ersten Runde der Wahl zusammengerechnet zwei Drittel der Wählerstimmen gewinnen. Das spiegelt den Zusammenbruch von Frankreichs Nachkriegsparteien der Rechten und Linken wider. Für sie rächt sich das jahrzehntelange Versagen im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Sie liegt landesweit bei zehn Prozent, bei den 18- bis 25-Jährigen sogar bei 24 Prozent. Paradoxerweise ist die Kluft zwischen Reich und Arm in Frankreich vergleichsweise kleiner als in Großbritannien, Deutschland und in den USA geblieben. Der französische Sozialstaat hat die Wirtschaft vor den Folgen der Finanzkrise von 2009 teilweise bewahrt. Doch die öffentliche Empörung über Pariser Eliten und Finanzskandale hat zu einer giftigen Mischung beigetragen.“

Le Monde (FR) /

Mélenchon manövriert sich in die Sackgasse

Mélenchons zentrales Wahlversprechen ist die Gründung einer VI. Republik mit einer einzigen Parlamentskammer. Ein illusorisches Unterfangen, urteilt Jurist Serge Sur in Le Monde:

„Entweder er schlägt nach seinem Wahlsieg ein Referendum für den Übergang in eine neue Republik vor. Dieses Referendum würde er jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren, weil die Franzosen zum Sprung ins Ungewisse nicht bereit sind. Was würde er dann tun? Würde er dann wie Charles de Gaulle [1969 nach dem gescheiterten Referendum über eine Regional- und Senatsreform] zurücktreten, jener de Gaulle, auf den Mélenchon übrigens immer stärker Bezug nimmt? Oder er versucht, sich außerhalb der Legalität zu bewegen und ruft ohne rechtliche Grundlage eine verfassungsgebende Versammlung ein. In diesem Fall sei vor dem institutionellen Chaos gewarnt. … Frankreich hat Besseres zu tun, als unnötige institutionelle Debatten anzustoßen, zumal die Verfassung heute einer der Pfeiler ist, die das Land stabil halten.“