Ist der Europatag ein Grund zum Feiern?

Wo steht die Europäische Union? Muss sie sich verändern oder hat sie sich gar überlebt? Zum Europatag am 9. Mai verweisen Kommentatoren auf die Geschichte. Sie erklären, wo ihr Land ohne die EU stünde und welche Gründe es gibt, diesen Tag zu feiern.

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Hotnews (RO) /

Ohne EU wäre Rumänien gescheitert

Mit Blick auf den 9. Mai 1950, der als Tag der EU-Grundsteinlegung gilt, fragt das Nachrichtenportal Hotnews, wo Rumänien heute ohne die EU stünde:

„Wie sähen wir aus, hätten wir 2007 den Beitritt verpasst? Wohin wären die Millionen Rumänen gegangen, hätten sie weder Reisefreiheit noch das Recht auf Freizügigkeit in den 28 EU-Ländern erhalten? Wer hätte die Exzesse der rumänischen Politiker gezügelt? ... Und mit welchen Geldern hätte sich Rumänien entwickelt (auch wenn wir beim Abrufen der EU-Mittel weit unter den Möglichkeiten geblieben sind)? Die Antwort kennt jeder. Wären wir nicht in der EU, stünden wir heute wie unsere Nachbarn, die Republik Moldau oder die Ukraine, da. Staaten, die teilweise gescheitert sind, sich in Grauzonen befinden und den imperialen Ambitionen Russlands ausgesetzt sind, das seinen Einfluss in Osteuropa zurückgewinnen will. Alle, die heute aus der EU eine Zielscheibe machen, können keine Alternative nennen. Welche auch?“

El HuffPost (ES) /

Der 9. Mai als Tag des Friedens

Der 9. Mai sollte zum europaweiten Feiertag erklärt werden, fordert der EU-Abgeordnete Florent Marcellesi aus der Fraktion der Grünen in seinem Blog bei El Huffington Post:

„Weil der 9. Mai bisher kein Feiertag ist, ist er völlig unsichtbar. Und was unsichtbar ist, existiert nicht. Fast niemand weiß, dass sich Deutschland und Frankreich mit einer historischen Rede des französischen Ministers Schuman am 9. Mai 1950 dazu entschlossen, ihren Hass und Brudermord zu beenden. ... Das Vergessen und die Angst sind der Nährboden für Rechtsextremismus in Europa. Vergessen wir nicht, dass die europäische Einigung aus den Ruinen des Faschismus und des Nationalismus erwuchs. ... Dem pragmatischen Leser sei erklärt, dass die Zahl der Feiertage im Durchschnitt bei zwölf liegt (in Spanien bei 14), also noch reichlich Raum für diesen Feiertag wäre. Außerdem wäre nach den Krisenjahren ein zusätzlicher Feiertag (wie in Portugal) eine starke Geste.“

Protagon.gr (GR) /

Das beste Umfeld für Politik und Wirtschaft

Die EU ist das Beste was den Europäern passieren konnte, findet auch Protagon:

„Das Leben keines Europäers hat sich verschlechtert, weil sein Land in die Europäische Union eingetreten ist. … Trotz ihrer Probleme bleibt die Europäische Union das beste politische und wirtschaftliche Umfeld in der langen Geschichte des Kontinents. Anscheinend wird es noch dauern, bis sich die Menschen zuerst als Europäer identifizieren und dann über ihre nationale Identität. Vielleicht kommt dieser Tag auch nie. Aber das ist auch nicht nötig. Es reicht, wenn der Tag kommt, an dem die meisten Europäer die Welt mit einem gemeinsamen Blick und vor allem mit gegenseitigem Interesse betrachten. Dies wird dann der neue Europa-Tag sein.“

Aftonbladet (SE) /

Gemeinsam verteidigt es sich besser

Die EU ist der geeignete Rahmen, um gemeinsam feindlichen Angriffen auf die Demokratie zu begegnen, schildert Aftonbladet am Beispiel von Cyber-Attacken:

„Eine demokratische Infrastruktur zu verteidigen, ist ganz entscheidend in Zeiten von Informationskriegen und Cyberattacken. Dies kann nicht in erster Linie eine militärische Aufgabe sein. ... Es geht auch um technische Vorstöße und um die Sammlung diplomatischer Kräfte. Es geht darum, dass Europa geeint auftritt und dass auf Taten Konsequenzen folgen. ... Auch ökonomische Sanktionen sollte man in Betracht ziehen. So könnte die EU beispielsweise das russische Gasprojekt Nordstream stoppen, falls sich Russland wie schon in Frankreich auch in die deutsche Wahl einmischt. Solche Maßnahmen sind vermutlich die einzige Sprache, die Russland versteht. Die richtige Instanz, um eine gemeinsame Strategie und vertiefte Zusammenarbeit zu diskutieren, dürfte die Europäische Union sein. Nicht zuletzt, weil die EU-Wahl 2019 mit größter Sicherheit zur Zielscheibe werden dürfte.“

Jutarnji list (HR) /

EU muss sich immer wieder neu beweisen

Die EU muss heute stärker denn je um ihre Daseinsberechtigung kämpfen, beobachtet Jutarnji List:

„Einst waren nationale Wahlen in einem EU-Mitgliedsstaat wichtig für Richtungsentscheidungen innerhalb der EU. Heute entscheiden sie gar über die Existenz der Europäischen Union selbst und so wird es auch in Zukunft bleiben. Denn Marine Le Pen, Geert Wilders und ihnen ähnliche Populisten und Extremisten werden in einigen Jahren wieder auftauchen, vielleicht sogar noch stärker und noch mächtiger. Deshalb wird die Europäische Union immer wieder den Sinn und Zweck ihrer Existenz beweisen müssen. Das wird nicht möglich sein ohne eine Erneuerung der Einheit, ehrliche Solidarität und strenge Einhaltung der Grundwerte. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Projekt der Einheit Europas den Frieden auf dem Großteil des Kontinents bewahrt hat. Kriege fanden in dem Teil Europas statt, an dem der Prozess der Einheit vorbeigezogen ist, wie dem Westbalkan.“

Magyar Nemzet (HU) /

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Mit der Forderung des österreichischen Kanzlers Christian Kern, die osteuropäischen Länder sollten von ihrer Steuer- und Lohnpolitik abrücken, setzt sich Publizist Péter Techet auseinander. In der Tat könne nur so eine solidarische EU entstehen, erklärt er in der Tageszeitung Magyar Nemzet:

„Laut Kern ist die EU auf lange Sicht nicht funktionsfähig, solange der Osten einerseits von den Geldern des Westens lebt - in Ungarn werden mehr als 90 Prozent der Investitionen aus EU-Förderungen finanziert - und andererseits eine Steuer- und Lohnpolitik verfolgt, die für die westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten und das dortige Lohnniveau eine Gefahr bedeutet. ... Die Regierung Orbán etwa pocht auf eine lockere Union, weil sie gewährleisten will, dass Audi weiterhin nur ein Drittel für einen ungarischen Arbeiter bezahlt. Kern will gleichen Lohn für gleiche Arbeit. ... Sofern die östlichen Mitgliedstaaten den Wohlfahrtsstaat weiterhin verschmähen, dann führt an einer EU der zwei Geschwindigkeiten wohl kein Weg vorbei.“

Maaleht (EE) /

Gerede über EU-Auflösung ist gefährlich

Der liberale EU-Parlamentarier Urmas Paet wundert sich in Maaleht, wie leichtsinnig man heute in der Öffentlichkeit über den Zusammenbruch der EU debattiert:

„Auch wenn man nur theoretisch darüber nachdenkt, wäre die Auflösung der Europäischen Union ein Prozess mit sehr hohen Risiken - ganz besonders für Staaten in einer geopolitisch komplizierten Situation wie Estland. Ja, die EU steht vor mehreren komplizierten Problemen: Kampf gegen Terror, Flüchtlingskrise, aggressives Verhalten von Russland, langsames Wirtschaftswachstum, komplizierte Beziehungen mit der Türkei, schwierige Verhandlungen mit Großbritannien, Neuordnung der Beziehungen mit den USA. Das ist aber kein Grund für ein Zerbrechen der Union, denn die Chancen der Mitgliedstaaten, diese Probleme allein zu lösen, sind nicht besser. ... Von der Auflösung würden am meisten die außereuropäischen Großmächte profitieren, denen die Existenz der Europäischen Union noch nie gefallen hat. Denn die EU als Ganzes ist ein globaler Konkurrent.“

Corriere della Sera (IT) /

EU braucht neues Gleichgewicht

Die EU-Mitgliedstaaten müssen einen Pakt schließen, um wieder politische Gleichheit untereinander herzustellen, fordert der Politikwissenschaftler Maurizio Ferrera in Corriere della Sera:

„Auf der Basis der EU-Verträge sind alle Mitgliedstaaten gleich. Das Entscheidungsgewicht wurde gemäß der Bevölkerungsgröße kalibriert. Die Reformen, die während der Krise eingeführt wurden, haben aber bewirkt, dass die heutigen Abstimmungsmechanismen objektiv zu Gunsten der Koalition der Nordländer mit Deutschland im Zentrum ausgerichtet sind. Zudem sind die informellen Praktiken des EU-Rats häufig schamlos asymmetrisch. ... Sicher, die EU-Verträge müssen früher oder später verändert werden. Doch ohne einen neuen politisch-kulturellen Pakt zwischen denjenigen, die heute die europäischen Völker repräsentieren und lenken, wird kein einziger institutioneller Schritt nach vorne möglich sein.“

Rzeczpospolita (PL) /

Europas Spaltung beginnt an der Oder

Die größte Gefahr für Europa ist, dass wieder ein Konflikt zwischen Deutschland und Polen ausbricht, glaubt der polnische Philosoph Marek A. Cichocki in Rzeczpospolita:

„Eine der größten Bedrohungen für Europa in den kommenden Jahren ist die ideologische Eskalation zwischen dem Staat auf der einen und den Gesellschaften [in den einzelnen Ländern] auf der anderen Seite. In dieser Hinsicht sind die deutsch-polnischen Beziehungen von großer Bedeutung, denen dabei eine Schlüsselrolle zufällt. Denn wenn jemand versucht, Europa zu spalten, dann beginnt er mit Sicherheit erst einmal damit, die Polen und die Deutschen wieder zu unversöhnlichen Feinden zu machen. Gerade die Beziehungen zwischen diesen Ländern sind besonders empfindlich. Insbesondere in Polen ist es sehr einfach, die Polen skeptisch zu machen und Unwillen oder gar Feindschaft gegenüber Deutschland zu wecken.“