Sind Sanktionen gegen Venezuela richtig?

Mit Finanzsanktionen haben die USA auf die umstrittene Volksabstimmung in Venezuela reagiert. Sie werfen Präsident Nicolás Maduro vor, sich mit einer Verfassungsänderung diktatorische Vollmachten sichern zu wollen. So wurde etwa US-Bürgern verboten, mit ihm Geschäfte zu machen. Auch Sanktionen gegen den Ölsektor werden erwägt. Europas Presse ist uneins, ob das Ausland sich überhaupt einmischen sollte.

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Die Presse (AT) /

Appelle sind nicht genug

Schärfere Sanktionen fordert Die Presse:

„[E]s ist schwer vorstellbar, dass Venezuela allein den Weg aus dieser Spirale findet, die das Land an den Abgrund geführt hat. Bloße Appelle aus dem Ausland sind längst nicht mehr genug. Ein Embargo auf venezolanische Erdölexporte und vor allem eine gezielte Verlängerung der US-Sanktionsliste um weitere Vertreter des Regimes dürften die venezolanische Führung schneller an den Verhandlungstisch zwingen als verbale Verurteilungen, die Präsident Maduro für seine Anti-Imperialismus-Rhetorik nutzen kann.“

Público (PT) /

Je weniger Einmischung, desto besser

Der portugiesische Soziologe Boaventura de Sousa Santos kritisiert die Berichterstattung europäischer Medien über Venezuela in Público:

„Es handelt sich um eine Realitätsverzerrung, die alle Mittel nutzt, um eine legitim gewählte Regierung zu verteufeln, Öl in das soziale und politische Feuer zu schütten und eine ausländische Intervention mit unabsehbaren Folgen zu legitimieren. ... Die Fehler und Irrtümer einer demokratischen Regierung müssen auf demokratischem Wege gelöst werden - und je weniger Einmischung von außen, desto besser und konsequenter. ... Nichts rechtfertigt das aufständische Klima, das die Opposition in den letzten Wochen verschärft hat, und darauf abzielt, nicht die Fehler der Bolivarischen Revolution zu korrigieren, sondern sie ganz abzuschaffen. Um dann neoliberale Rezepte zu verhängen, mit allem, was das für die mittellose Mehrheit in Venezuela bedeutet.“

De Volkskrant (NL) /

Wirtschaftssanktionen wären riskant

Mögliche Sanktionen, die die venezolanische Ölwirtschaft betreffen, hält De Volkskrant für gefährlich:

„Maduro muss weg, aber von selbst wird er nicht gehen. Die USA haben als wichtigster Abnehmer venezolanischen Öls zu Recht Sanktionen gegen Beamte angekündigt, die der Korruption und Unterdrückung verdächtigt werden. US-Präsident Trump erwägt noch schwerere Maßnahmen: einen Boykott von venezolanischem Öl. Dieser wäre aber unklug, weil er vor allem die Bevölkerung treffen würde. Gleichzeitig gäbe er Maduros Propaganda gegen Amerika als imperialistischem Bösewicht einen Hauch von Legitimität. Maduro muss stattdessen von den Nachbarstaaten politisch isoliert und zu Verhandlungen gedrängt werden.“

Svenska Dagbladet (SE) /

Der neue Sozialismus ist wie der alte

Für Svenska Dagbladet ist es kein Zufall, wenn sich Venezuela jetzt auf eine Diktatur zubewegt:

„Das ergibt sich aus den Werten, die der Bolivarischen Revolution zugrunde liegen - dem Projekt von Hugo Chávez, das den Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Lateinamerika verbreiten sollte. Es hat sich gezeigt, dass der Unterschied zwischen diesem Sozialismus des 21. Jahrhunderts und dem Sozialismus anderer Zeiten nicht sonderlich groß ist. Verstaatlichungen führten zu Armut, aus der Kontrollwut der Obrigkeit wuchs Unterdrückung, die Wirtschaft liegt darnieder. ... Gleichzeitig stirbt der Rechtsstaat. ... Wenn der Präsident nun mit Grundgesetzänderungen beginnt, die weder die Opposition noch das Ausland für legitim halten, droht ein Konflikt ohne friedliche Lösung. Der Sozialismus bleibt, wie er immer war. Das kann Venezuelas Volk bezeugen.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Das Volk hat nicht gesprochen

Für die Süddeutsche Zeitung war die Wahl alles, nur nicht im Sinne des Volkes:

„Bei den bislang letzten Wahlen, die diesen Namen verdienen, gewannen Maduros Gegner 2015 rund zwei Drittel der Sitze in der eigentlichen Nationalversammlung. Das Volk Venezuelas hat sein Urteil über diesen Dreivierteldiktator also längst an der Urne kundgetan. … Mit der sogenannten Wahl vom Sonntag schafft er sich nun ein neues Parlament. Eines, das ihm besser passt. Es gibt wohl nur drei Dinge, die Maduro kurzfristig zum Umdenken bewegen könnten: eine Revolte des Militärs, harte Sanktionen der wichtigsten Erdölkunden USA und China oder die Einsicht, dass er ein einstmals reiches Land geradewegs in den Untergang führt. Auf Punkt drei sollte man zuallerletzt wetten.“

The Times (GB) /

Zeit für Sanktionen

The Times befürchtet eine weitere radikale Verschlechterung der Lage im Land:

„Venezuelas Chaos muss international mit Sorge betrachtet werden. Der Flüchtlingsstrom nach Kolumbien - oder gar über das Meer nach Trinidad - könnte sich zu einer Flüchtlingskrise ausweiten, die die gesamte Region destabilisiert. Die regionale Wirtschaftsunion Mercosur hat Caracas bereits ausgeschlossen. Wenn Maduro den Weg in Richtung Diktatur weitergeht, dann sollte die Region das Land auch aus der Organisation Amerikanischer Staaten ausschließen. Mit Recht hat Kolumbien bereits angekündigt, Maduros verfassungsgebende Versammlung nicht anzuerkennen. ... Die gespaltene Opposition des Landes muss sich nun einen und beschließen, nicht nur den unglückseligen Maduro, sondern auch das populistische Erbe von Hugo Chavez zu verurteilen. Die Alternative wären eine Abwärtsspirale und eine moderne Tragödie.“

La Stampa (IT) /

Probleme wurzeln in der Vergangenheit

Für La Stampa hat Venezuelas Ruin seine Wurzeln in der Bolivarischen Revolution des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez:

„Wie lässt sich erklären, dass Venezuela als eines der lateinamerikanischen Länder mit dem besten Wirtschaftspotenzial am Rande des Ruins steht und vier von fünf Familien an der Armutsgrenze leben? Ein Land, mit Erdölreserven, die selbst die saudischen übertreffen? Die Erklärung liegt gänzlich in der Schwäche des 'sozialistischen' Prozesses der einzig und allein auf den Petrodollars aufgebaut wurde. ... Als der Erdölpreis von 100 Dollar pro Barrel auf weniger als die Hälfte einbrach, stürzte mit ihm der Sozialstaat ein, aber die Projekte und Investitionen, die der verstorbene Präsident Chávez mit (in der Tat bolivarischem) Ehrgeiz für Venezuela und andere Länder Südamerikas wie Kuba ins Leben gerufen hatte, blieben unverändert.“