Italiens umstrittener Militäreinsatz vor Libyen

Mit einem Militäreinsatz vor der Küste Libyens will Italien dort die Schleuserkriminalität bekämpfen. Europäische Medien sehen den Einsatz als weiteren Beweis für das Versagen der EU in der Migrationspolitik.

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Berliner Zeitung (DE) /

Es droht eine neue europäische Schande

Die Berliner Zeitung sieht im Vorgehen Roms eine gefährliche Militarisierung der Flüchtlingspolitik, die letztlich nichts bringt:

„Den Schleusern wird im besten Fall das Geschäft schwerer gemacht, doch sie werden andere Wege finden. Was aber passiert mit den Flüchtlingen? Werden sie zurückgeschickt nach Libyen, wo ihnen in den berüchtigten Auffanglagern Folter und Misshandlung drohen? Oder bringen die Italiener sie dann doch nach Italien? Rom baut darauf, dass in Libyen Registrierzentren für Flüchtlinge errichtet werden, so wie es auch andere europäische Politiker fordern. Auch das klingt so schön einfach, doch es wird Jahre dauern, das Land halbwegs zu stabilisieren, wenn es überhaupt möglich ist. Stattdessen auch die zentrale Mittelmeerroute abzuriegeln, ist keine Lösung des Flüchtlingsproblems. Es wäre eine neue europäische Schande.“

La Repubblica (IT) /

Einsatz unter europäischer Flagge führen

Die EU sollte Kommando und Koordination der Marinemission übernehmen, fordert La Repubblica:

„Das wäre ein Erfolg für die europäische Außenpolitik und zudem ein Akt der konkreten Solidarität gegenüber Italien, das zurzeit ganz allein mit fast 200.000 Migranten pro Jahr fertigwerden muss. Es wäre auch die beste Antwort auf den Vorwurf, Europa sei blind und habe nur deshalb die Flüchtlingskrise in der Türkei gelöst, weil das im Interesse Deutschlands lag, während man Italien allein ließ. Und es wäre ein hoffnungsvolles Signal an die südlichen Länder der EU, dass Europa in Zukunft internationale Krisen wird bewältigen können, zumindest in seinem Teil der Welt ... Die Zukunft der Europäischen Union steht auf dem Spiel, und vielleicht sollten sich Europas Regierungen ausnahmsweise ein Motto von Donald Trump zu Herzen nehmen: 'Europa first'.“

De Morgen (BE) /

Europa lässt Schmugglern noch zu freie Hand

Auch De Morgen fordert ein gemeinsames Vorgehen der EU, allerdings weniger militärisch vor Libyens Küste als politisch gegen die Schmugglerbanden im Land:

„Die Vereinten Nationen, Europol und verschiedene Geheimdienste wissen genau, wer an der Spitze der libyschen Schmuggelnetzwerke steht. ... Und doch gibt es nur wenig Drang, um von Europa aus den rechtlichen Angriff gegen die libyschen Menschenschmuggler zu starten. Offensichtlich geben europäische Politiker einem neuen Einsatz der italienischen Marine mehr Chancen, die gemeinsam mit der libyschen Küstenwache die Flüchtlingsboote stoppen soll. Das wird sicher alles andere als eine einfache Bootsfahrt: Vor allem wenn man bedenkt, dass einer der wichtigsten Kommandanten eben dieser libyschen Küstenwache auch der Chef des wichtigsten Schmuggelsyndikats ist.“

HuffPost Italia (IT) /

Asylbewerbern wird letzter Weg abgeschnitten

Mit der Abwehr von Flüchtlingsbooten schon in libyschen Gewässern verletzt Italien das Asylrecht, wettert Huffington Post Italia:

„Ein klares Beispiel für Neokolonialismus aus propagandistischen Gründen, mit dem Ziel, den Flüchtlingsstrom im Mittelmeer wenn möglich auf null zu reduzieren. ... Wenn die Operation gelingt, kann unsere Regierung triumphieren und sagen, man habe, wie in der Türkei, den Asylbewerbern den letzten Weg abgeschnitten, sie gelangen nicht mehr nach Italien, sie können nicht mehr gerettet werden. Welch ein Sieg! Doch auf den Booten sitzen Migranten und keine Schleuser. Wo würden die Migranten denn enden, die nach Libyen zurückgeschickt werden? In Lagern, die von Milizen verwaltet werden. Zentren, in denen die schlimmsten Gewalttaten verübt werden und gefoltert wird.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Nur Militär schicken reicht nicht

Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist der Beschluss des Parlaments nur ein Tropfen auf den heißen Stein:

„[D]ie italienische Militärpräsenz vor Libyens Küste wird den Schleppern die Arbeit erschweren. Eine Lösung ist [der Beschluss] nicht. Dazu ist mehr erforderlich: In Libyen muss eine Regierung herrschen, die sich durchsetzen kann; den Schleppern und den NGOs ist das Handwerk zu legen; in dem reichen Land könnte zwischen der Subsahara und der Mittelmeerküste in einen Korridor investiert werden, in dem Industrien und Arbeitsplätze entstehen, so dass die Auswanderer dort aufgefangen werden.“