Versöhnliche Töne in Trumps Rede

Nach einem turbulenten ersten Amtsjahr und in Zeiten historisch schlechter Umfragewerte hat Donald Trump in seiner ersten Rede zur Lage der Nation die Bürger zur Einheit aufgerufen. Der US-Präsident hat sich überraschend versöhnlich gezeigt, konstatieren Beobachter und schwanken in ihren Reaktionen zwischen Erleichterung und Misstrauen.

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Hospodářské noviny (CZ) /

Ein fast perfekter Auftritt

Sehr erstaunt über das Niveau des Auftritts des US-Präsidenten zeigt sich Hospodářské noviny:

„Donald Trump hat in Amerika und weltweit nahezu pathologische Abscheu erzeugt. Deshalb war es gestern für viele auch schwer, anzuerkennen, dass seine Rede zur Lage der US-Nation sehr gut war, eigentlich sogar perfekt. Mit dem Fokus auf Optimismus, Zusammengehörigkeit und amerikanische Außergewöhnlichkeit. Er will in die Infrastruktur investieren, bot zwei Millionen illegalen Migranten die Möglichkeit an, die Staatsbürgerschaft zu erhalten und will den Druck auf Nordkorea maximal erhöhen. Im Herbst wird ein neuer Kongress gewählt. Dort wird sich zeigen, ob die Leute eher den Republikanern um Trump glauben oder den Demokraten, die gestern warnten: Glaubt Trump kein Wort.“

El Mundo (ES) /

Rede ist Hoffnungsschimmer

Eine gewisse Erleichterung ist El Mundo anzumerken:

„Das Beste war, dass er eigentlich gar nichts gesagt hat. Zum ersten Mal haben es seine Berater geschafft, dass er sich zurückhält. ... Trump hat alles versucht, um wie ein konventioneller Politiker zu wirken. Sein siegessicherer Ton steht allerdings im krassen Gegensatz zur Realität seines Landes: Die Bevölkerung ist polarisierter denn je, und international sind die USA nicht mehr fähig, eine Führungsrolle zu übernehmen. Aber zumindest hat er einen Tag lang nicht provoziert und fast nur gegen Nordkorea gewettert. Hoffentlich kann man das als Zeichen für ein länger anhaltendes Verantwortungsgefühl werten.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Grundlose Prahlerei

Trump hat sich in seiner Rede zu Unrecht selbst gefeiert, kritisiert hingegen die Neue Zürcher Zeitung:

„Der Präsident brüstete sich mit dem Beschäftigungswachstum seit seiner Wahl, dabei wurden im vergangenen Jahr so wenige Arbeitsplätze geschaffen wie seit 2010 nicht mehr. Er sprach von den grössten Steuersenkungen der amerikanischen Geschichte, obwohl unter seinen Vorgängern Obama und Bush weiterreichende Entlastungen beschlossen worden waren. Mit keinem Wort anerkannte er, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit, der Anstieg der Aktienkurse und der Erfolg im Kampf gegen die Terrormiliz IS die Fortsetzung einer Entwicklung sind, die lange vor seinem Amtsantritt begonnen hat. Trump erinnert an einen Hahn, der überzeugt ist, der Sonnenaufgang sei seinem Krähen zu verdanken.“

Keskisuomalainen (FI) /

Patriotismus verdrängt die wichtigen Themen

Aufschlussreich war die Rede für Keskisuomalainen:

„Die USA sind ein gespaltenes Land. So kann man die Reaktionen auf Donald Trumps Rede zur Lage der Nation interpretieren. Zwar war die Rede staatsmännischer als frühere Reden und die Republikaner hielten sie für versöhnlich und an das ganze Volk gerichtet. Nach Meinung der Demokraten spaltete sie aber das Land mehr, als dass sie es einte. ... In der dem amerikanischen Patriotismus huldigenden Rede blieb für andere Themen nicht viel Raum. Umweltfragen wurden an den Rand gedrängt, bei der Außenpolitik beschränkte sich Trump auf die Nennung einiger konkurrierender Länder und Bösewichtstaaten. Auch zu Russland schwieg der US-Präsident, denn die Ermittlungen zu den Russland-Verbindungen haben ihm diesen Bereich der Außenpolitik praktisch genommen.“