Slowakische Regierung unter Beschuss

Nach dem Kulturminister hat nun auch der slowakische Innenminister Robert Kaliňák seinen Rücktritt eingereicht. Die Regierung steht unter Druck seit vor zwei Wochen der Investigativjournalist Ján Kuciak ermordet wurde. Auf Großdemos warfen zehntausende Slowaken ihrer politischen Führung Journalistenfeindlichkeit und die Verwicklung in Korruption vor. Kann Kaliňáks Rücktritt die Gemüter beruhigen?

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Der Standard (AT) /

Als nächstes ist Fico dran

Mit dem Rücktritt von Innenminister Robert Kaliňák werden sich die Slowaken nicht zufrieden geben, erwartet Der Standard:

„Dass er geht, löst keines der Probleme, die in dem benachbarten EU-Mitgliedstaat nach dem Mord am Aufdeckerjournalisten Ján Kuciak manifest wurden. Im Gegenteil. Er wolle die Stabilität des Landes nicht gefährden, begründete Kaliňák seinen Abgang. Das Kalkül: Geht der umstrittene Minister, der ohnehin nicht mehr zu halten war, bleibt Fico, gegen den Zehntausende auf die Straße strömen. Verspricht sich der Premier vom Abgang Kaliňáks ein Ventil, durch das die Wut in der Bevölkerung entweicht, dürfte er sich täuschen. Mit dem Rücktritt des zweiten Mannes werden sich viele Slowaken nicht abspeisen lassen. Sein Chef, der kritische Journalisten gerne 'antislowakische Huren' schimpfte, wird wohl der Nächste sein.“

Sme (SK) /

Einsicht kam zu spät

Auch Beata Balogová, Chefredakteurin von Sme, glaubt nicht, dass der Rücktritt noch etwas retten kann:

„Wäre der Minister einen Tag nach der Nachricht von Ján Kuciaks Ermordung gegangen, wären die Überlebenschancen für Premier Robert Fico und seine Regierung besser gewesen. Fico und Kaliňák aber haben in der Schule des früheren Premiers Mečiar gelernt, dass das Eingestehen von moralischer Verantwortung als Schwäche gilt, Angriffe auf Kritiker dagegen als Stärke. Indem sie versuchten, den Minister zu halten, haben Fico und seine Partei Smer nur den absoluten Verlust ihrer Urteilsfähigkeit unterstrichen. Sie unterschätzten die moralische Forderung der Nation, während Zehntausende riefen, dass es reicht.“

Sme (SK) /

Korrupte Politiker lernen das Fürchten

Premier Fico hat die Proteste anschließend als Umsturzversuche beschimpft. Sme hält dagegen:

„Friedlicher Protest ist noch kein Umsturz. Und wenn die Menschen ihrem Frust darüber Luft machen, dass es keine Spur von moralischer Verantwortung für die Ermordung eines Journalisten gibt, dann ist das auch keine Verschwörung. Zwar betrachtet Robert Fico das als Bedrohung, aber Anstand, Courage und staatsbürgerlicher Mut bedrohen niemanden. Fürchten müssen sich nur die, die sich jahrelang korrupt verhalten haben. Aber auch sie müssen nicht um ihr Leben fürchten, sondern nur um ihre Posten. Denn nichts ist so mächtig wie diese Masse von Menschen, die ihre Politiker daran erinnert, dass sie nur Angestellte der Bürger sind.“

Denník N (SK) /

So schnell lässt sich der Premier nicht stürzen

Premier Fico ist zwar angeschlagen, aber noch lange nicht am Ende, analysiert Dag Daniš von aktuality.sk in Dennik N:

„Den politischen Kampf zwischen Präsident Kiska und Fico gewinnt am Ende der, der die parlamentarische Mehrheit in seinen Händen hat. Die liegt immer noch bei Fico. Der könnte seinen Innenminister Kaliňák opfern, um die Partei der ungarischen Minderheit in der Regierung zu halten. Gelingt das nicht, könnte er versuchen, die rechtsextreme Partei ĽSNS von Marian Kotleba für die stille Tolerierung seiner Regierung zu gewinnen. Das wäre zwar der Gipfel der Geschmacklosigkeit, würde aber funktionieren. ... Rein technisch könnte er mit einem umgebauten Kabinett an der Macht bleiben. Unter seiner Regie, nicht der von Kiska.“

Új Szó (SK) /

Auch der Trick mit Soros wird Fico nicht helfen

Dass nun auch der slowakische Premier Fico US-Milliardär George Soros zum Sündenbock stempelt, dient nur einem Ziel, meint Új Szó:

„Zum Zweck der Ablenkung ist Fico vor allem daran interessiert, Spannungen zu schüren und Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen. ... Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Ficos glänzende Polit-Karriere nun unwürdig zu Ende gehen wird. ... Ihm ist offenbar bewusst, dass sein politisches Scheitern unausweichlich ist. Um zu verhindern, dass er zur Verantwortung gezogen wird, versucht er, Chaos zu schaffen und möglichst viele Personen gegeneinander auszuspielen. Nun hat er auch noch Soros' Namen aufs Tapet gebracht, was ganz offensichtlich ebenfalls als Ablenkungsmanöver gedacht ist. Es ist wohl ein letzter verzweifelter Versuch, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen.“

Sme (SK) /

Das Land muss sich grundlegend ändern

Sme-Chefredakteurin Beata Balogová unterstützt die Forderung Kiskas:

„Premier Robert Fico hat es noch immer nicht begriffen. Er wiederholt nur, dass die Tat aufgeklärt werden muss. Zweifellos. Aber das ist nicht sein Job. Andrej Kiska machte dagegen seine Arbeit, äußerte den Gedanken, den die Journalisten schon eine Woche mit sich herumtragen. Es braucht eine grundsätzliche Änderung - eine Regierungsumbildung oder eine Neuwahl. Die ganze Sache zeigt, wie sehr sich Kiska und Fico unterscheiden, mental und politisch. Kiska versteht, dass es hier um eine zutiefst moralische Frage geht. ... Aus der Sicht Ficos ist die moralische Frage nur ein Zeitvertreib von Journalisten. Die Nation wartet darauf, dass außer Kiska noch mehr Politiker verstehen, dass die geistige Gesundheit des Landes auf dem Spiel steht.“

Denník N (SK) /

Fico verbarrikadiert sich

Matúš Kostolný, Chefredakteur von Dennik N, ärgert sich ebenfalls, dass Fico und seine Leute keinerlei Einsicht zeigen:

„Solch eine Masse von Menschen habe ich zuletzt 1989 auf den Straßen gesehen. Die Leute sind wütend und entschlossen - aber ruhig. ... Auf der anderen Seite verbarrikadiert sich Fico mit den Seinen wie in einem Bunker. Abgeschnitten von der Wirklichkeit. Sie haben den Kontakt zum Land verloren, in dem sie leben. Ihnen geht es nur um sich selbst. In diesem Moment tritt Kiska auf, der schon beinahe aus dem Präsidentenpalast Abschied genommen zu haben schien. Es ist gut, dass er zurück ist. ... Am Grab von Ján Kuciak weinten am Wochenende dessen Familie und hunderte Menschen. Die Glocken läuteten. Fico hat sie nicht gehört.“

La Repubblica (IT) /

Auch Deutschland hat keine weiße Weste

Dass die Mafia Osteuropa erobert hat, ist auch Deutschland zuzuschreiben, glaubt Mafia-Experte Roberto Saviano in La Repubblica:

„Osteuropa ist ein schwarzes Loch: Voller Geldwäsche und unterwandert von der Mafia. ... Die Strategie der Mafia ist die Infiltration dessen, was man als 'deutschen Commonwealth' bezeichnen könnte - die an Deutschland grenzenden Länder Osteuropas. Obgleich die deutsche Regierung hier eine extrem wichtige wirtschaftliche Rolle spielt, kontrolliert sie weder auf eigenem Gebiet noch darüber hinaus in angemessener Weise die Kapitalbewegungen und die Produktionsketten, mit denen im Osten Waren für deutsche Unternehmen hergestellt werden. Um der militärischen und wirtschaftlichen Macht der Mafia etwas entgegenzusetzen, reichen die deutsche Rechtsprechung und die Rechtsprechung der osteuropäischen Republiken nicht annähernd aus.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Ficos Rücktritt ist auch keine Lösung

Der für Medien zuständige Kulturminister der Slowakei, Marek Madaric, war mit den Worten zurückgetreten, er könne nicht ruhig in seinem Sessel sitzen, nachdem ein Journalist ermordet wurde. Auch gegen Premier Fico werden Rücktrittsforderungen lauter. Hospodářské noviny hält nichts davon:

„Ficos Abgang würde eine große Wunde in seine Partei schlagen. Er hat dort bisher alle Interessengruppen im Gleichgewicht gehalten. Sein potentieller Nachfolger, Innenminister Robert Kaliňák, ist durch Korruptionsaffären derart diskreditiert, dass es beinahe unbegreiflich ist, wie lange Fico ihn im Amt gehalten hat. Einen anderen denkbaren Nachfolger hat er nicht. Geht Fico, dann wird auch seine Partei Smer-SD in der Wählergunst zurückfallen, auf das Niveau einer nur noch mittelgroßen Partei.“

La Stampa (IT) /

Nach dem Mauerfall kam die Mafia

Kuciak hat vor seinem Tod an einer Geschichte über die Aktivitäten der 'Ndrangheta in der Slowakei und ihre Verbindungen zu Spitzenpolitikern gearbeitet. Das gab das Portal aktuality.sk bekannt, für das Kuciak tätig war. In der Tat ist die 'Ndrangheta nicht nur in Italien höchst erfolgreich, erklärt La Stampa:

„Die Organisation, die im 19. Jahrhundert in Kalabrien entstand, ist heute auf allen Kontinenten präsent. Will man dem Forschungsinstitut Demoskopica Glauben schenken, beläuft sich ihr Jahresumsatz auf 53 Milliarden Euro. ... Einer der Gründe des Erfolgs liegt in ihrem Geschick, dank enger Beziehungen zu Händlern aus Kolumbien und Mexiko den internationalen Drogenhandel zu kontrollieren. … Zudem erkannten die Mitglieder der 'Ndrangheta als erste, welche Möglichkeiten sich nach dem Mauerfall auftaten. Seit den 1990er Jahren haben sie in Osteuropa Geld investiert und Geldwäsche betrieben.“

Dnevnik (SI) /

Ein gefährlicher Trend

Für Dnevnik ist der Mord Beleg für eine brandgefährliche Entwicklung:

„Die Bedeutung freier Medien wird immer weniger ernst genommen und die Rolle von Journalisten für die Gesellschaft nicht richtig verstanden. Politiker beschimpfen Medienberichte neuerdings als 'Fake News'. Natürlich hat die verbale Abrechnung von Politikern mit der von ihnen ungeliebten 'vierten Gewalt' Einfluss auf die allgemeine Haltung gegenüber Medien. Der Weg vom verbalen Mord zum wahren Verbrechen ist besonders kurz, wenn Hetze von den höchsten Rängen kommt. ... Lässt die Gesellschaft zu, dass Journalisten - tatsächlich oder im übertragenen Sinn - ermordet werden, stehen die Chancen schlecht, diesem Trend etwas entgegenzusetzen.“

Newsweek Polska (PL) /

Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen

Das Portal aktuality.sk gehört zu Ringier Axel Springer Slowakei. Die Chefredakteure der Medien von Ringier Axel Springer Polen haben nun einen gemeinsamen Beitrag verfasst, den unter anderem Newsweek Polska veröffentlicht:

„Diese Banditen sollen nicht glauben, dass man die Journalisten zum Schweigen bringen kann. ... Das ist der erste Mord an einem Journalisten in der Slowakei. Im Dezember ist auf Malta bei einem Bombenattentat Daphne Caruana Galizia ermordet worden, die den Regierenden und ihren Partnern in den aserbaidschanischen Gangs auf die Pelle rückte. 1992 starb in Poznań Jarosław Ziętara - wahrscheinlich wurde er von Gangstern ermordet, über die er schreiben wollte. In Russland und der Ukraine vergeht kein Jahr, in dem nicht einige Journalisten sterben. Sie alle haben ihr Leben dafür riskiert, damit wir wissen, wie die Dinge sind.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Die politischen Konsequenzen bleiben aus

Die Morde an Journalisten wie dem Slowaken Ján Kuciak oder der Malteserin Daphne Caruana Galicia zeigen, dass es in der EU ein Rechtsstaatsproblem gibt, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Internationale Hilfe bei den Ermittlungen ist sinnvoll, wie dies etwa das FBI und europäische Behörden in Malta leisten. Solche Missionen können die nationalen Strafverfolger nicht ersetzen, doch sie können die Aufmerksamkeit und den Druck erhöhen, damit die inakzeptablen Morde an Journalisten Konsequenzen haben. … Und doch sind die Möglichkeiten letztlich beschränkt und die Erfahrungen in Malta nach vier Monaten wenig ermutigend: Die Hintermänner bleiben dort nach wie vor im Dunkeln, die Geschichte ist nach der ersten Empörung aus den Schlagzeilen verschwunden, und politische Konsequenzen hatte sie keine.“

Noviny.sk (SK) /

Fico trägt eine Mitschuld

Der slowakische Regierungschef Robert Fico hat eine Million Euro Belohnung für Hinweise auf den oder die Täter des Mordanschlags in Aussicht gestellt. Für Noviny.sk ist das wenig glaubwürdig:

„Robert Fico ist mitverantwortlich für eine Atmosphäre, in der versucht wird, Journalisten einfach umzubringen. Wenn der Regierungschef eine ganze Berufsgruppe als 'Prostituierte' bezeichnet, gibt er das klare Signal, dass deren Angehörige zum Abschuss freigegeben sind. ... Die moralische Verantwortung dafür wird der Ministerpräsident nicht wieder los.“

Sme (SK) /

Anschlag auf alle Bürger des Landes

Die Ermordung von Ján Kuciak erschüttert nicht nur die slowakische Medienwelt, kommentiert Sme-Chefredakteurin Beata Balogová:

„In einem Land, in dem ein Journalist umgebracht wird, wird die Freiheit des Wortes selbst angegriffen. Ziel war nicht allein, einen von ihnen zum Schweigen zu bringen, sondern alle abzuschrecken. Der Mord an einem Journalisten ist zugleich ein Angriff auf die Bürger des Landes, sind doch die Journalisten die Augen, Ohren und Münder der Öffentlichkeit. Die Politiker dieses Landes sollten diesen feigen Akt der Aggression deutlich verurteilen und klar machen, dass dies nicht einfach ein Mord ist, sondern dass unsere Demokratie blutet.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Faschisten könnten profitieren

So sehr slowakische Journalisten in den 1990er Jahren auch eingeschüchtert wurden - ermordet wurde in der Ära Mečiar keiner, erinnert sich der slowakische Gastautor Milan Žitný in Hospodářské noviny:

„Gelingt es nicht, den Mord an Ján Kuciak aufzuklären, wird dies das Misstrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheitsorgane und die Justiz vertiefen. Das wiederum könnte den Ruf nach einer 'starken Hand', die endlich Ordnung schafft, verstärken. Wie eine solche Hand aussehen kann, zeigen die Faschisten um Marian Kotleba im slowakischen Parlament. Dessen Weg zum Regierungssessel könnte sich verkürzen. Premier Fico, der eine hohe Belohnung zur Ergreifung des Täters ausgesetzt hat, scheint sich dieses Risikos bewusst.“