Geografie und Selbstüberschätzung sind ein unseliges Paar. Die politische Führung der Türkei, der bekanntermaßen konservativ-sunnitisch ausgerichtete Präsident mit seiner Partei, hat in der Vergangenheit ihren Beitrag zum Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) geleistet. Tayyip Erdogan dachte, er könnte diesen Tiger schon reiten. Alles war gut, was den Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad beschleunigen würde. Erdogans Türkei wurde die Autobahn und die Raststätte für Extremisten, die in ihren "Glaubenskrieg" in Syrien ziehen würden.

Aber dann wiederum hat die Türkei – so groß, wie sie nun ist, und so zentral, wie sie eben liegt – nicht den Fängen des IS entkommen können. Wer etwas anderes behauptet und wie die Opposition in der Türkei der alten Politik der Neutralität nachtrauert, liegt falsch. Früher oder später hätte der Terror der Islamisten auch die Türkei eingeholt.

Der Terroranschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen lässt die Führung im Land umdenken. Auf die Goldwaage sollte man Erdogans Worte vom IS als der "größten bösartigen Organisation" dabei nicht legen. Die kurdische Untergrundarmee PKK und ihre Sympathisanten sind für die türkische Regierung nun nicht weniger schlimme Feinde. Doch in Ankara, wo bisher keine Aufgabe zu groß oder zu komplex sein konnte, sinken nun offenbar die Prioritäten ein: Der Kampf gegen die Islamisten hat Vorrang. (Markus Bernath, 4.7.2016)