Kommentar

Affekthandlung schürt Unsicherheit

Der Brexit-Schrecken steckt der EU-Kommission noch in den Knochen. Doch Ad-hoc-Lösungen bringen die Union den Bürgern auch nicht näher.

Claudia Aebersold Szalay
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Die EU hat gegenwärtig bei vielen ihrer Bürger einen schweren Stand. (Bild: Paul Zinken / EPA)

Die EU hat gegenwärtig bei vielen ihrer Bürger einen schweren Stand. (Bild: Paul Zinken / EPA)

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, Ceta, wird den nationalen Parlamenten der Union vorgelegt. Obwohl die EU das Abkommen rein rechtlich gesehen im Alleingang, will heissen einzig mit der Billigung durch Ministerrat und EU-Parlament, verabschieden könnte, hat sich die EU-Kommission dafür entschieden, die nationalen Parlamente in den Entscheidungsprozess einzubinden. Die EU-feindliche Stimmung, die seit dem Votum der Briten für den EU-Austritt in den Mitgliedsländern herrscht, hat die Kommission wohl zum Einlenken bewogen. Zu gross war offensichtlich die Angst vor den zentrifugalen Kräften in Europa, die bei einem abermaligen «Diktat aus Brüssel», und sei dies bloss über ein einzelnes Handelsabkommen, zusätzlich erstarken könnten.

Das Einknicken der EU-Kommission ist in dieser Form falsch. Wenn sich viele Bürger der EU von deren Institutionen entfremdet und durch das EU-Parlament zu wenig vertreten fühlen, wenn sie der Meinung sind, Brüssel sei zu weit weg von ihrem eigenen Leben, und sie sich deshalb mehr (direkte) Mitsprache in der Union wünschen, muss der institutionelle Rahmen der EU grundsätzlich überdacht werden. Keine Union kann auf Dauer bestehen, wenn ihre Bürger sie nicht mittragen.

Doch dies darf nicht ad hoc geschehen. Die EU schadet sich selber, wenn sie in einer Art Affekthandlung den eigenen institutionellen Rahmen einfach über den Haufen wirft. Das EU-Parlament ist eine demokratisch legitimierte Institution und darf als solche die Handelspolitik der Union – und seit den Lissabon-Verträgen auch Investitionsabkommen – gestalten und für die gesamte Union zeichnen. Die Rechtsgrundlage der EU sieht in Handelsfragen kein Anrufen der nationalen Parlamente vor. Setzt die EU nun – abhängig von der jeweiligen Grundstimmung in ihren Mitgliedsländern – einfach ihre eigenen Spielregeln ausser Kraft, schafft sie dadurch nur institutionelle Unsicherheit. Im konkreten Fall von Ceta gefährdet sie darüber hinaus ein Handelsabkommen, das den Bürgern der EU tatsächlich mehr Wohlstand bringen könnte. Dadurch, dass nun eine Vielzahl an nationalen Gremien dem Abkommen mit Kanada ausnahmslos zustimmen müssen, damit es eingeführt wird, erhalten die nationalen Parlamente de facto ein Vetorecht über die Handelspolitik der EU. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada scheitert, ist so deutlich gestiegen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt, da der Präzedenzfall einmal geschaffen ist, andere Handelsabkommen wie jenes, das dieser Tage mit den USA ausgehandelt wird, genauso scheitern, hat sich ebenfalls erhöht.

Die EU hat gegenwärtig bei vielen ihrer Bürger einen schweren Stand. Will sie bestehen, muss sie sich wohl in manchen Bereichen neu aufstellen, um der Entfremdung entgegenzuwirken. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, indem das EU-Parlament, das die Bürger repräsentieren sollte, nach Gutdünken ausgehebelt und den nationalen Parlamenten untergeordnet wird. Um zu bestehen, muss die EU beweisen, dass sie eine regelbasierte Union ist. Mag sein, dass diese Regeln nun überholt werden müssen.