Kommentar

Ein IOK ohne Mut

Mit dem Entscheid, die russischen Sportler bei Olympia starten zu lassen, zeigt sich das Internationale Olympische Komitee von einer schwachen Seite. Es delegiert die Verantwortung.

Elmar Wagner
Drucken
Das IOK verpasst es, sich als starke Institution zu profilieren. (Bild: Pavel Golovkin / Keystone)

Das IOK verpasst es, sich als starke Institution zu profilieren. (Bild: Pavel Golovkin / Keystone)

Um zu erkennen, wie duckmäuserisch sich das Internationale Olympische Komitee (IOK) gegenüber Russland gebärdet, muss man sich zuerst einmal ein paar Fakten zu Gemüte führen: In Russland wurden über fünf Jahre hinweg positive Dopingproben von 577 Spitzenathleten unter den Teppich gewischt. 30 Sportarten profitierten davon, vorab die Leichtathletik, das Gewichtheben und der Behindertensport.

Das System des Betrugs funktionierte hervorragend, weil dahinter nicht nur korrupte Funktionäre standen, sondern auch der russische Staat eifrig mitmischelte. So entschied der stellvertretende Sportminister höchstpersönlich, welche Athleten geschützt werden. Wie sehr das düstere Treiben staatlich gefördert wurde, zeigt auch der Einsatz des russischen Geheimdienstes: Er war an den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 darum besorgt, dass die Urinproben der eigenen Sportler unbemerkt ausgetauscht werden konnten.

Der Kampf gegen Doping ist von jeher schwierig, auch weil die Betrüger immer raffinierter werden. Die Vorfälle, die in letzter Zeit aus Russland bekanntgeworden sind, machen diesen Kampf aber zur Farce. Denn wenn selbst übergeordnete Instanzen, die den Schutz und die Förderung des Sports zur Aufgabe hätten, mit krimineller Energie dagegen arbeiten, ist alles Bemühen sinnlos.

Der Internationale Leichtathletikverband hat sich darum nach einem ersten Untersuchungsbericht nicht gescheut, 68 russische Sportler von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschliessen. Das Internationale Sportschiedsgericht TAS hat diesen Entscheid letzte Woche geschützt. Das war ein Steilpass für das IOK, nachdem der Report des Sonderermittlers Richard McLaren auf rund 100 Seiten ausgeführt hatte, wie das staatlich geförderte Doping in Russland funktioniert. Was sonst wäre auf der Hand gelegen, als sämtliche russischen Athleten auszuschliessen?

Doch das IOK hat die Chance nicht genutzt, sich als starke Institution zu profilieren, die das grosse Ganze im Auge behält und daher schwere Verstösse gegen die Integrität des olympischen Sports scharf ahndet. Die IOK-Exekutive hat viel mehr nach einer feigen Lösung gegriffen, die darin besteht, die Verantwortung nach unten zu delegieren. Es ist nun an den internationalen Sportverbänden, die (sauberen) russischen Athleten zu benennen, welche in Rio starten dürfen.

Das IOK hält in seiner Stellungnahme vom Sonntag fest, dass die «Vermutung der Unschuld» für die russischen Sportler nicht gelte. Andererseits gehe es darum, die «individuelle Gerechtigkeit» zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: nachweislich saubere Sportler sollen nicht von Olympia ausgeschlossen werden. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, wie diese Athleten bis zum Olympiastart in knapp zwei Wochen ihre Lauterkeit beweisen sollen. Hier kann es nur mehr um oberflächliche Prüfungen gehen, mit denen dieser individuellen Gerechtigkeit Genüge getan werden soll. Der olympische Sport wird damit um keinen Deut glaubwürdiger.

Das IOK unter der Führung von Thomas Bach zeigt sich mehr um eine sportpolitische Balance bemüht, die darin besteht, es sich mit dem mächtigen russischen Partner nicht zu verscherzen. Dazu passt es wunderbar, dass das IOK das nationale Olympische Komitee Russlands als «nicht befleckt» bezeichnet. Wie es auf diese Idee kommt, ist schleierhaft, sass doch der unterdessen abgesetzte stellvertretende Sportminister und Chefdoper in der Exekutive eben jenes Komitees. Und der Entscheid der IOK-Ethikkommission, die frühere Doperin Julia Stepanowa doch nicht bei Olympia starten zu lassen, kommt den Russen sehr gelegen. So erhält die Staatsfeindin keine weitere Plattform.

Zur Erinnerung: Erst die Enthüllungen Stepanowas haben geholfen, das russische Staatsdoping zu entlarven. Als Whistleblower setzte die Russin dabei ihr Leben aufs Spiel. Das IOK dagegen zeigt sich unmittelbar vor den Spielen als mutloses Gremium, das sich vorsätzlich in juristischen Details verliert. Und es lädt Stepanowa und ihren Gatten als Besucher nach Rio ein – als «Dank für ihren Beitrag im Kampf gegen Doping». Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Weitere Themen