In der Politik kann man bei der Partnerwahl mitunter nicht zimperlich sein. Freiwillig hätte kaum ein Regierungschef der EU mit Erdogan einen Flüchtlingsdeal ausgehandelt. Doch vor allem Bundeskanzlerin Merkel drang im Frühjahr auf eine Vereinbarung mit der Türkei, um den Strom illegal einreisender Migranten Richtung Deutschland zu stoppen.
Weil die EU intern nicht mit der Flüchtlingskrise fertig wurde und unfähig war, die Außengrenzen wirksam zu schützen, schien ein Abkommen mit Ankara ein pragmatischer Ausweg zu sein. Mittlerweile mussten die Europäer lernen, dass der Deal selbst ein Problem mit Sprengkraft ist. Denn Ankara nutzt das Instrument, um zu drohen und zu erpressen. Das Klima zwischen der Türkei und der EU ist vergiftet wie seit langem nicht.
Die Drohung des türkischen Außenministers Cavusoglu, die Vereinbarungen aufzukündigen, wenn die verlangte Visumfreiheit für die Türkei nicht bis Oktober eingeführt ist, stellt eine neue Provokation dar. Denn die vereinbarten Bedingungen, die für eine solche Liberalisierung gelten, kennt man in Ankara. Angesichts der stetigen Demontage demokratischer Grundrechte in den vergangenen Wochen ist eine Visumerleichterung in weite Ferne gerückt.
War Erdogan schon vor dem missglückten Putschversuch vor zwei Wochen nicht gewillt, die Anti-Terror-Gesetze in seinem Land wie von der EU gefordert zu lockern, so stehen die Chancen, dass er das jetzt tut, bei null. Brüssel kann an dieser Stelle nicht nachgeben. Das Ultimatum macht einmal mehr deutlich, dass derzeit in der Türkei andere Werte gelten als in Europa.
Schließung der Balkanroute ist entscheidend
Brüssel und Berlin reagieren indes zu Recht gelassen auf die neuen Drohungen. Der Flüchtlingsstrom ist heute viel kleiner als noch vor Monaten. Doch diese Entwicklung ist nicht der Türkeivereinbarung zu verdanken.
Vielmehr hält die Schließung der Balkanroute durch Länder wie Mazedonien, Ungarn und Österreich Flüchtlinge davon ab, über die Türkei in die EU einzuwandern. Seit die Weiterreise nach Deutschland und in andere begehrte Ziele kaum mehr möglich ist, zieht Griechenland viel weniger Flüchtlinge an. Denn in dem krisengebeutelten Land geht es Asylbewerbern nicht besser als in der Türkei.
Die EU zahlt wie vereinbart eine Menge Geld, um die Türkei bei der Versorgung von Flüchtlingen zu unterstützen. Ankara hat somit viel zu verlieren. Einen Bruch mit Europa wird Erdogan allen Drohgebärden zum Trotz nicht riskieren – auch wenn die Visumfreiheit nie kommt.