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Wladimir Putin begrüßt Recep Tayyip Erdogan 2013 beim G20-Gipfel in St. Petersburg.

© Eric Feferberg/AFP

Türkei und Russland: Erdogans Besuch bei Putin ist ein Signal an den Westen

Angesichts vieler Differenzen zwischen der Türkei und Russland ist der Besuch Erdogans in Moskau als Zeichen einer neuen Außenpolitik zu sehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Seibert

Nicht Angela Merkel oder Barack Obama, sondern Wladimir Putin wird der erste Chef einer internationalen Führungsmacht sein, der nach dem Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammenkommt. Erdogans Besuch bei Putin an diesem Dienstag in St. Petersburg ist vor allem der Versuch eines Neuanfangs in den Beziehungen zwischen der Türkei und Russland.

Da die Visite in die Zeiten eskalierender Spannungen zwischen Erdogan und dem Westen fällt, stellt sich die Frage, ob hier eine neue Allianz entsteht. Vieles spricht dagegen – bedeutsam ist Erdogans Visite, weil sie das Signal für eine neue türkische Außenpolitik ist.

Zwar decken sich türkische und russische Sichtweisen in einigen Bereichen. Putin und Erdogan misstrauen dem Westen und vermuten, dass Europäer und Amerikaner trotz aller öffentlichen Bekundungen der Kooperationsbereitschaft heimlich an einer Destabilisierung ihrer Länder arbeiten. Putin wirft dem Westen vor, die Krise in der Ukraine provoziert zu haben und die Wirtschaftssanktionen gegen Moskau als Instrument zur Eindämmung des russischen Einflusses zu benutzen. In der Türkei haben Mitglieder der Erdogan-Regierung öffentlich erklärt, die USA hätten den Putschversuch vom Juli organisiert. Erdogan selbst bezeichnet den Westen als Unterstützer des Terrors.

Im Syrien-Konflikt zerstritten

Doch der gemeinsame Argwohn gegen Europa und USA allein genügt nicht als Basis für ein starkes Bündnis zwischen Ankara und Moskau. Im Syrien-Konflikt etwa stehen die beiden Länder auf verschiedenen Seiten. Das russische Engagement zugunsten des syrischen Präsidenten Baschar al Assad löste im vergangenen November jene Krise aus, die mit Erdogans Besuch in Russland jetzt für beendet erklärt werden soll: Ein türkischer Kampfjet schoss an der syrischen Grenze eine russische Militärmaschine ab.

An den gegensätzlichen Positionen in Syrien hat sich nichts geändert. Russland stützt Assad, um in Nahost mitzumischen. Dagegen will Ankara den syrischen Präsidenten lieber heute als morgen aus dem Amt jagen und aus Syrien einen von sunnitischen Glaubensbrüdern dominierten Staat machen – ohne russischen Einfluss. In der Schlacht um Aleppo stehen die Türken hinter den Rebellen, während Putin die syrischen Regierungstruppen unterstützt.

Vor der Krise hatten beide Seiten diese Differenzen zugunsten einer florierenden Zusammenarbeit in der Energie- und Tourismuspolitik ausgeklammert. Nach dem offiziellen Ende des Streits könnte diese enge Zusammenarbeit jetzt neu beginnen. Doch schwere Differenzen bleiben, nicht nur in Syrien. Als Erben verfeindeter Großreiche sind Türkei und Russland alte Rivalen im Kaukasus. Im Ukraine-Konflikt schlug sich die Türkei in den vergangenen Monaten eindeutig auf die Seite Kiews; zudem beklagt sie eine Unterdrückung der mit Ankara verbündeten Krimtataren. Die mehr als ein halbes Jahrhundert alte Nato-Mitgliedschaft der Türkei steht einem engen Bündnis mit Moskau ebenfalls entgegen.

Jenseits von EU und Nato

Wahrscheinlicher als eine türkisch-russische Allianz ist eine andere Neuorientierung der Türkei. Seit langem fordern wichtige Erdogan-Berater, das Land solle sich vom Westen lösen und als unabhängige Regionalmacht eine eigene Außenpolitik betreiben. Diese Stimmen sind mit der anti-westlichen Stimmung nach dem Putschversuch noch lauter geworden. Erdogans Schimpftiraden gegen Europa und den Westen sowie sein Besuch in Russland könnten Zeichen dafür sein, dass diese Absetzbewegung beginnt.

Mit seiner Reise nach St. Petersburg sendet Erdogan das Signal, dass sich die Türkei jenseits von EU und Nato nach Partnern umsieht. Das heißt nicht, dass die Türkei aus der Nato austritt, wohl aber, dass sie keinen gesteigerten Wert mehr auf die gemeinsame Linie der Allianz legt. Weniger denn je betrachtet sich die Türkei als fester Teil des Westens: Der Umgang mit Erdogan wird für Europäer und Amerikaner noch schwieriger.

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