Mord, Totschlag und Kriegsverbrechen erschüttern uns nicht mehr. Doch wenn Kulturerbe bedroht ist, dann horchen wir auf. Das ist das zynische Kalkül, das Kritiker hinter der Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs ICC sehen, islamistische Angriffe auf Mausoleen zeitlich an den Beginn seiner Mali-Prozesse zu stellen. Der ICC wolle Aufmerksamkeit, lautet der Vorwurf – und womöglich wolle das auch Unesco-Chefin Irina Bokowa, die UN-Generalsekretärin werden möchte.

Tatsächlich ist die Frage unangenehm: Hätte der Angeklagte, Ahmed al-Faqi al-Mahdi, nicht neun Gräber, sondern neun Menschenleben zerstört – bekäme das Verfahren die gleiche Aufmerksamkeit? Das ist nicht nur abstrakt, denn Mahdi werden tatsächlich auch Misshandlungen vorgeworfen. Thema im laufenden Prozess sind sie nicht.

Doch die Argumente für den Prozess sind nicht leicht von der Hand zu weisen. Es ging bei den Angriffen nicht nur um die materielle Zerstörung, es ging um die versuchte Vernichtung einer Kultur und der Geschichte einer Region. Und den direkten physischen Angriff auf eine Lebensart – auf jene moderate Islam-Auslegung, die in Mali dominiert.

Die Entwicklung des Prozesses gibt Anlass zur Hoffnung. Die Art, in der Mahdi bedauerte, "vom rechten Weg abgekommen" zu sein, mag in jungen Maliern Reflexionen auslösen, die selbst von Radikalisierung bedroht sind. Dann hätte das Verfahren zumindest ein Ziel erreicht. (Manuel Escher, 22.8.2016)