Kommentar

Die Türken machen Ernst

Die türkische Regierung will einen syrischen Kurdenstaat um jeden Preis verhindern. Dies – und nicht die Vertreibung des IS – ist der eigentliche Grund für ihre Bodenoffensive.

Daniel Steinvorth
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Das Fass zum Überlaufen brachte die Einnahme der syrischen Stadt Manbij. (Bild: AP)

Das Fass zum Überlaufen brachte die Einnahme der syrischen Stadt Manbij. (Bild: AP)

Nun rollen sie also, die türkischen Panzer. Mit der Operation «Schutzschild Euphrat» hat der Nato-Staat seine seit langem angedrohte Bodenoffensive in Syrien gestartet. Offiziell geht es dabei um die Eroberung der IS-Hochburg Jarablus. Nach dem grausamen Anschlag auf eine Hochzeitsfeier in Gaziantep, bei dem vor allem Frauen und Kinder ums Leben kamen, kann die Türkei ihren Vorstoss gegen den Islamischen Staat (IS) als Schutz- und Vergeltungsmassnahme begründen. In Wahrheit aber geht es Ankara nicht in erster Linie um die Mörderbande des IS. Deren Präsenz hinter dem Grenzzaun duldete man gerne, solange die Kurden in Schach gehalten werden konnten. Das wichtigere Ziel des türkischen Vormarsches sind die kurdische «Partei der Demokratischen Union» und ihre YPG-Miliz, die sich seit 2011 den grössten Teil Nordsyriens gesichert haben und auf diesem eine Art Staat ins Leben riefen.

Das Fass zum Überlaufen brachte aus türkischer Sicht die Einnahme der syrischen Stadt Manbij vor zwei Wochen. Beherrschten die Kurden bis dahin nur das Gebiet östlich des Euphrats, konnten sie dem IS mit amerikanischer Hilfe schliesslich auch diesen strategisch wichtigen Ort westlich des Flusses entreissen. Zwar waren an der Eroberung von Manbij nicht nur Kurden, sondern auch Araber und Assyrer beteiligt, die sich unter dem Dach der «Syrisch-Demokratischen Kräfte» sammeln, doch beeindruckt das die türkische Regierung herzlich wenig. Die Überschreitung des Euphrats ist für sie die rote Linie.

Die Kurden und ihre Verbündeten schienen wiederum nicht abgeneigt, sich früher oder später auch noch den letzten nicht von ihnen kontrollierten Landstrich entlang der Nordgrenze Syriens einzuverleiben. Gelänge ihnen das, wäre die Türkei komplett vom arabischen Syrien isoliert. Ein Albtraum für Präsident Recep Tayyip Erdogan, der bei der Nachkriegsordnung im Nachbarland gerne ein Wort mitreden will. Welches Signal würde ein weiterer faktischer Kurdenstaat zudem in die Heimat senden, wo die Loyalität vieler Kurden zum türkischen Staat auf die Probe gestellt ist? Schon schielen viele sehnsüchtig auf den benachbarten Nordirak, wo ein souveränes Kurdistan im Entstehen begriffen ist. Die Unterdrückung kurdischer Autonomiebestrebungen zählt aber seit je zur Staatsräson in der Türkei. Sie erklärt, warum Regierung und Generalität in dieser Frage stets an einem Strang ziehen und warum Erdogan den IS und die YPG auf eine Stufe stellt – obwohl die syrische Kurdenmiliz bisher nachweisbar keinen einzigen Terroranschlag auf türkischem Boden verübt hat. Dass sich die Türkei nicht länger nur mit Spezialeinheiten in den «syrischen Sumpf» begeben würde, war letztlich eine Frage der Zeit.

Bleiben ihre Panzer dauerhaft auf nordsyrischem Territorium, sind Konflikte mit den Kurden und ihrer Schutzmacht, den Vereinigten Staaten, vorgezeichnet. Die Amerikaner wird es zwar freuen, dass die Türken nun entschlossen militärisch auch gegen den IS vorgehen. Schlecht beraten wären die USA aber, dafür jene Kräfte im Stich zu lassen, die sich bisher noch immer als die schlagkräftigsten Gegner der Terrormiliz erwiesen haben. Die Kurden wiederum sollten begreifen, dass ein weiteres Vorrücken halsbrecherisch ist und auch ihrem Expansionsdrang Grenzen gesetzt werden müssen.