Die EU-Kommission taumelt von einer Affäre zum nächsten Korruptionsverdacht. Dieser Eindruck des schleichenden Ansehensverlusts stellt sich leicht ein, wenn man die Schlagzeilen zu jüngsten Enthüllungen von "Bahamas-Leaks" im Fall Neelie Kroes liest. Sie war in Brüssel nicht irgendwer. Von 2004 bis 2014 verantwortete sie zunächst Wettbewerbspolitik, ab 2010 "Digitales".

Bereits zum Amtsantritt von Präsident Jean-Claude Juncker war aktenkundig geworden, wie sehr Konzerne in seiner Zeit als Premier in Luxemburg steuerlich begünstigt worden waren. Im Sommer schlug medial wie eine Bombe ein, dass sein Vorgänger José Manuel Barroso ausgerechnet von der Investmentbank Goldman Sachs, hart kritisiert für ihr Wirken vor der Weltfinanzkrise 2008, angeheuert wurde.

Und nun Kroes. Sie hat nicht – wie vorgeschrieben – gemeldet, dass sie vom Jahr 2000 an, also lange vor Amtsantritt, bis 2009 als Direktorin einer Briefkastenfirma eingeschrieben war – ein klarer Bruch des Verhaltenskodex.

So unkorrekt das auch ist: Man sollte vorsichtig sein, daraus den großen EU-Skandal zu konstruieren. Kroes hat den Bahamas-Job, ein Projekt, offenbar nie ausgeführt. Und sie galt als Wettbewerbskommissarin als besonders fähig, hat Konzernen wie Microsoft mit großer Härte die Stirn geboten. Es gibt bisher keine Hinweise auf persönliche Malversationen als Kommissarin oder gar Amtsmissbrauch – so wie auch bei Juncker und Barroso nicht. (Thomas Mayer, 22.9.2016)