Kommentar

Zwischen Hammer und Amboss

Die Schliessung der wichtigsten regierungskritischen Zeitung in Ungarn hat weltweit Empörung ausgelöst. Der Fall zeigt, wie sehr die freie Presse in der ganzen Region politisch und wirtschaftlich unter Druck ist.

Ivo Mijnssen
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Proteste in Ungarn gegen die Schliessung der Zeitung «Nepszabadsag» (Bild: Zoltan Balogh / Keystone)

Proteste in Ungarn gegen die Schliessung der Zeitung «Nepszabadsag» (Bild: Zoltan Balogh / Keystone)

Von einer «Stummschaltung», einem «Coup» und sogar einem «meisterhaft geplanten Mord» sprachen Beobachter, als am Wochenende die ungarische Zeitung «Nepszabadsag» ihr Erscheinen einstellte. Obwohl viele Fragen offenbleiben, liegen politische Motive hinter der Nacht-und-Nebel-Aktion nahe: Das Blatt zog mit solide recherchierten Korruptionsenthüllungen aus dem Umfeld von Ministerpräsident Viktor Orban wiederholt den Zorn der Regierung auf sich. Doch bei der ersten Schliessung einer führenden Zeitung in einem EU-Land geht es um mehr als um Orban und Ungarn: Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Medienkrise politischer Einflussnahme Tür und Tor öffnet – nicht nur, aber besonders in den östlichen EU-Mitgliedstaaten.

Patrioten und Tycoons

Seit der Finanzkrise von 2008 ziehen sich westeuropäische Medienkonzerne aus der Region zurück oder beschränken sich auf profitable Bereiche. So auch der schweizerische Verlag Ringier: Der ehemalige Besitzer der kriselnden «Nepszabadsag» verkaufte die Zeitung an einen windigen österreichischen Investor, um sich zusammen mit seinem Partner Axel Springer auf politisch seichtere Unterhaltung und Boulevard zu konzentrieren.

Neue Steuern und Regulierungen, mit denen nationalistische Regierungen in Ungarn oder Polen eine «patriotischere» Medienlandschaft heranzüchten wollen, beschleunigten diese Entwicklung. Dass die ausländischen Investoren unter diesen Bedingungen wenig in die demokratiepolitische Rolle der freien Presse in Ostmitteleuropa investieren, ist so logisch wie fatal: Mit dem Rückzug verlieren aber die politisch unbequemen Medien jene Unabhängigkeit, die ihnen ihre ausländischen Besitzer bis zu einem gewissen Grad boten.

Natürlich ist eine solche von aussen finanzierte Medienfreiheit keine nachhaltige Garantie für die demokratische Entwicklung eines Landes. Doch leider sind die Alternativen meist schlechter: In die Lücke springen nämlich keine demokratisch gesinnte Citoyens, sondern Staatsmedien und politisch ambitionierte Tycoons. Diese haben in vielen Fällen ähnlich gelagerte Interessen und spielen sich in die Hände: Orban verdankt seinen Aufstieg massgeblich befreundeten Medienkonzernen, und ein Inserateboykott durch regierungsnahe Wirtschaftskreise trug entscheidend zur Schwächung von «Nepszabadsag» bei.

Medien als Sprachrohre

Dabei sind es bei weitem nicht nur Rechtspopulisten wie Orban, die sich dieser Taktik bedienen. Auch der politische Aufsteiger und mögliche nächste Regierungschef in Tschechien, der selbsterklärte Liberale Andrej Babis, nutzt seine Medienmacht für politische Zwecke. Der zweitreichste Mann des Landes hat seit dem Rückzug der deutschen Medienunternehmen ein Imperium aufgebaut, das ihm den Spitznamen «Berlusconi Tschechiens» eingetragen hat. Er entlässt immer wieder Journalisten, die nicht in seinem Sinne schreiben.

Die sich zunehmend autoritär gebärdenden Politiker der östlichen EU-Mitgliedstaaten entziehen dem kritischen Journalismus und der demokratischen Meinungsbildung immer mehr den Sauerstoff. Wenn aber Medien als Sprachrohre für enge politische Ziele missbraucht werden, ist dies auch für den Rest Europas schlecht, tragen sie doch vor allem zur Polarisierung und Spaltung bei.