Kommentar

Mit wem, wenn nicht mit Kanada?

Kaum ein Freihandelsvertrag kommt den Bedenken der Skeptiker so weit entgegen wie Ceta, das geplante Abkommen der EU mit Kanada. Er stellt die EU weit über den konkreten Fall hinaus auf Probe.

René Höltschi
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Ceta begeistert nicht alle, würde aber 99 Prozent der Zölle auf Waren abschaffen.(Bild: Agencja Gazeta)

Ceta begeistert nicht alle, würde aber 99 Prozent der Zölle auf Waren abschaffen.(Bild: Agencja Gazeta)

Für Jean Asselborn, sozialdemokratischer Aussenminister von Luxemburg und gewiss kein neoliberaler Turbo, ist der Fall klar: Ceta, das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, sei ein Vertrag auf hohem Niveau und ein Benchmark für alle künftigen Abkommen, sagte er am Dienstag am EU-Handelsminister-Treffen. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau wiederum erklärte letzte Woche: «Wenn es sich . . . zeigt, dass Europa unfähig ist, einen fortschrittlichen Handelspakt mit einem Land wie Kanada abzuschliessen, mit wem glaubt Europa dann noch . . . Geschäfte machen zu können?»

Ceta würde 99 Prozent der Zölle auf Waren abschaffen. Da aber die Zölle zwischen Industrieländern nicht mehr sehr hoch sind, geht es umso mehr auch um die Öffnung von Dienstleistungsmärkten, den Zugang zu öffentlichen Aufträgen und den Abbau technischer Handelshemmnisse. Damit greift der Vertrag stärker in das nationale Wirtschaftsleben ein, als es frühere Zollabbau-Verträge taten. Dies weckt Ängste, die vielleicht zu lange unterschätzt worden sind.

Doch kaum ein Vertrag enthält so viele Absicherungen wie Ceta. Dieser und die hinzugefügte Zusatzerklärung beschwören zum Beispiel, dass keine Umwelt- und Sozialstandards gesenkt würden und dass weder die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen erzwungen noch die Rekommunalisierung privatisierter Dienste verhindert werde. Auch steht kaum ein Staat ausserhalb Europas den europäischen Werten näher als Kanada. So hat das Land Hand geboten zur EU-Idee eines Investitionsgerichts für Konflikte zwischen ausländischen Investoren und dem Gaststaat. Dieses überwindet Schwächen der bisher üblichen privaten Schiedsgerichte. All dies ist meilenweit entfernt vom Zerrbild der Gegner, die Ceta als Diktatur der Konzerne beschreiben, die den Rechtsstaat und die Demokratie ausheble. Wer die Globalisierung nicht aufhalten kann, aber gestalten will, braucht genau solche Abkommen, solange es keine multilateralen Fortschritte bei der Welthandelsorganisation mehr gibt. Wer Ceta hingegen ablehnt, muss sich fragen, ob er eigentlich gegen jede Handelsliberalisierung ist und damit das Geschäft der Wirtschaftsnationalisten betreiben will. Er muss dann aber auch negative Folgen auf Wachstum und Beschäftigung zu tragen bereit sein.

Trudeau hat recht: Scheitert Ceta, wird die EU auch kaum einen anderen grösseren Vertrag abschliessen können. Es ist höchste Zeit, dass alle EU-Staaten Ceta gutheissen. Und danach wird sich die EU fragen müssen, wie sie ihre internen Kompetenzregelungen und Entscheidungsverfahren verbessern kann, um ein ernstzunehmender Partner zu bleiben.