Kommentar

Wer ist der wahre Patriot?

Die Rechtsextremen haben Orbans Pläne für eine Verfassungsänderung fürs Erste durchkreuzt. Dennoch könnte er gestärkt aus dem Streit hervorgehen.

Ivo Mijnssen
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Angesichts der geballten politischen und medialen Macht Orbans liegt die Perspektive einer vereinten Opposition in weiter Ferne. (Bild: Zsolt Szigetvary / AP)

Angesichts der geballten politischen und medialen Macht Orbans liegt die Perspektive einer vereinten Opposition in weiter Ferne. (Bild: Zsolt Szigetvary / AP)

Zwei Stimmen fehlten dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban für die Verfassungsänderung. Sie hätte ihm erlaubt, die Ablehnung der EU-Flüchtlingsquoten gewissermassen in Stein zu meisseln. Über die Symbolpolitik hinaus relevant wäre dies zwar nicht gewesen, sind doch Quoten erstens in Europa politisch vom Tisch und stünden zweitens nicht in der Kompetenz Ungarns. Auch bedarf es keines weiteren Beweises dafür, dass das Volk Quoten ablehnt; dies zeigten das Referendum im Oktober – auch wenn es an der Beteiligung scheiterte – und die Tatsache, dass keine Partei gegen die Verfassungsänderung stimmte. Sie scheiterte «nur» an den Enthaltungen. Dennoch erlitt Orban ein zweites Mal eine symbolträchtige Niederlage.

Verdrängungskampf im rechten Lager

Pikant ist, dass die rechtsextreme Partei Jobbik die Vorlage nicht unterstützte. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass der Fidesz ihr Garantien verweigerte, ein höchst intransparentes staatliches Programm zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an reiche Ausländer gegen Geld abzuschaffen. Jobbik stellt das Programm als Sicherheitsrisiko für Ungarn dar und wirft der Regierung vor, das Land dem IS auszuliefern, da auch Arabern Bewilligungen erteilt wurden. Das Hickhack zeigt, wie eng es im rechten Lager geworden ist und wie sich Regierung und Rechtsextreme mit immer absurderen und schrilleren Vorwürfen übertrumpfen.

Den ersten Stich hat Jobbik nun gemacht. Die Rechtsextremen haben mit den Aufenthaltsbewilligungen gegen Cash ein gutes Thema gewählt, um die Regierung anzugreifen, vermischen sich darin doch die Angst vor Fremden und die wachsende Wut im Volk über den Filz zwischen Wirtschaft und Politik: dass ein Orban-Vertrauter das Programm führt, selbst die Firmen auswählte, die Gebühren einziehen, und bei jeder Transaktion Zehntausende von Euro in unbekannten Kanälen verschwinden, birgt Zündstoff. Die Empörung über Korruption und Selbstherrlichkeit der Mächtigen ist das Thema, das der Regierung am ehesten gefährlich werden kann – das zeigen verschiedene Demonstrationen gegen Skandale in letzter Zeit. Theoretisch könnte sich daraus sogar eine gemeinsame Plattform gegen Orban formieren.

Schwache Opposition

Dennoch liegt angesichts der geballten politischen und medialen Macht Orbans die Perspektive einer vereinten Opposition in weiter Ferne – auch wegen der unüberbrückbaren ideologischen Differenzen. Zudem ist es alles andere als gesagt, dass die Strategie von Jobbik aufgeht oder die Partei überhaupt bei ihrem Widerstand gegen eine Verfassungsänderung bleibt, sollte diese ein weiteres Mal ins Parlament kommen.

Die Regierung tut alles, um Quoten und Aufenthaltsbewilligungen als zusammenhangslos und den Widerstand von Jobbik als unpatriotisch darzustellen. Auch kann der Fidesz darauf verweisen, dass die Rechtsextremen stets selbst eine Verfassungsänderung gefordert hätten und ihre Kehrtwende sie unglaubwürdig mache. Erklärungsbedarf hat nun primär Jobbik. Orban hingegen könnte am Ende gestärkt aus der Konfrontation hervorgehen, erscheint er doch vielen als einzig «wahrer» Patriot im rechten Lager.