Kommentar

Weckruf aus dem Osten

Die Bulgaren und die Moldauer haben prorussische Präsidenten gewählt. Der Hauptgrund ist die Enttäuschung über Europa.

Ivo Mijnssen
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(Bild: Darko Vojinovic / Keystone)

(Bild: Darko Vojinovic / Keystone)

Bulgarien und die Moldau haben am gleichen Tag prorussische Präsidenten gewählt, welche die Westbindung infrage stellen oder zumindest relativieren. Im Wahlresultat spiegelt sich die verschärfte geopolitische Konfrontation im Osten des Kontinents – noch stärker ist es aber Ausdruck des Verdrusses über das uneingelöste europäische Versprechen auf ein besseres Leben.

Nach einem Jahrzehnt der Westbindung – Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der EU, und die Moldau hat sich dieser wirtschaftlich und politisch stark angenähert – sind die Resultate in beiden Ländern mager. Bulgarien liegt einkommensmässig abgeschlagen an letzter Stelle in der EU, das Wirtschaftswachstum hat sich vom Knick der Krise 2009 nicht richtig erholt, von einem Aufholprozess kann keine Rede sein. Politische Reformen hin zum Besseren sucht man mit der Lupe: Die Korruption ist konstant hoch, und die Elite kümmert sich um ihre eigenen Pfründen statt um das Volkswohl. In der Moldau hat der «Bankraub des Jahrhunderts» von 2014, als undurchsichtige Geschäfte der nominell prowestlichen Oligarchie das Land eine Milliarde Franken kosteten, das europäische Lager gespalten und teilweise vollständig diskreditiert.

Das Dilemma der Kleinstaaten ist real. Sie werden durch den sich zuspitzenden geopolitischen Konflikt zwischen Ost und West zunehmend aufgerieben.

Die in beiden Ländern mit einem linkspopulistischen, prorussischen Programm aufwartende Opposition hat sich den Volkszorn zunutze gemacht. Verstärkt wird die Hinwendung zu Russland paradoxerweise durch die demografischen Effekte der Westbindung: Der qualifizierte und europäisierte Bevölkerungsteil wandert ab in die EU, zurück bleiben die Alten, Armen und Russlandfreundlichen. Für sie stehen die sozialistische Ära und die Anlehnung an Russland für Stabilität und einen bescheidenen Wohlstand, die ihnen auch die neuen Präsidenten, der stramm moskautreue Igor Dodon in der Moldau und der hemdsärmlige ehemalige Luftwaffenchef Bulgariens Rumen Radew, versprechen.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass diese einen offenen Bruch mit dem Westen riskieren – dafür sind ihre Kompetenzen zu klein, und wirtschaftlich steht zu viel auf dem Spiel. Behelfsmässig sprechen sie deshalb von einer «pragmatischen» Politik: Diese soll die guten Beziehungen zu Europa erhalten und gleichzeitig eine Wiederannäherung an den traditionellen Patron Russland bringen. Wie sie aber diesen Spagat zwischen EU-Markt und Eurasischer Wirtschaftsunion, Nato und russischer Armee schaffen wollen, sagen sie nicht.

Das Dilemma der Kleinstaaten ist dennoch real. Sie werden durch den sich zuspitzenden geopolitischen Konflikt zwischen Ost und West zunehmend aufgerieben. EU und USA tun gut daran, dieses ernst zu nehmen. Sowohl die Moldau als auch Bulgarien machten in der Vergangenheit die Erfahrung, hilflos den wirtschaftlichen Druckversuchen Russlands ausgeliefert zu sein. Vor allem aber muss die EU die Wahl vom Sonntag als Weckruf verstehen, die lokalen Eliten in die Pflicht zu nehmen, damit sie bei der Korruptionsbekämpfung, der Stärkung einer unabhängigen Justiz und der Schaffung von wirtschaftlichen Perspektiven vorwärtsmachen. Erlischt nämlich der Glaube an eine bessere europäische Zukunft, haben die rückwärtsgewandten Russlandfreunde freie Hand.