NPD-Verfahren:Braun bleibt

Die wehrhafte Demokratie muss sich rechtzeitig wehren; sie darf nicht warten, bis es brandgefährlich wird. Sie darf nicht schlafen. Ein NPD-Verbot hätte ein Weckruf sein können. Karlsruhe hat diese Chance vertan.

Von Heribert Prantl

Im alten römischen Recht galt der Rechtssatz: "Um Kleinigkeiten muss sich der Richter nicht kümmern." Dieser pragmatische Satz ist nun das ungeschriebene Motto des Bundesverfassungsgerichts im Urteil über die NPD. Mit diesem Satz lassen sich die dreihundert Seiten zusammenfassen, mit denen es die höchsten Richter ablehnen, die rechtsextreme Partei zu verbieten. Die NPD gilt den Richtern zwar als verfassungsfeindlich; ausdrücklich wird die Wesensverwandtschaft mit der NSDAP festgestellt. Aber die NPD ist den Richtern nicht groß, nicht einflussreich, also nicht gefährlich genug, um sie zu verbieten; die NPD habe nicht genügend Wirkkraft.

Würde die NPD bei Wahlen die Prozente erreichen, die derzeit die AfD erreicht - die Richter hätten sie wohl verboten. Für die Richter ist ein Verbot aufgrund Verfassungswidrigkeit eine Frage der Zahl: Es zählen Wahlergebnisse, es zählt nicht der Wille der Partei, Grundordnung und Grundwerte zu beseitigen; es zählt nur, ob sie auch die realistische Möglichkeit hat, dieses Ziel zu erreichen. Eine solche Zählung ist falsch: Eine Demokratie, die sich erst wehrt, wenn es hochgefährlich wird, ist keine wehrhafte, sondern eine naive Demokratie. Mit der Parteiendemokratie verhält es sich wie mit einem Pilzgericht: Ein giftiger Pilz kann das ganze Essen verderben.

Verfassungswidrig, aber nicht verboten? Das Urteil ist falsch

Es mag sein, dass sich Richter um Kleinigkeiten nicht kümmern müssen. Aber es ist keine Kleinigkeit, wenn eine Partei Hass sät. Es ist keine Kleinigkeit, wenn sie Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben will. Es ist keine Kleinigkeit, wenn die Hetze gegen Menschen Parteiprogramm ist. Wenn dies unter dem Schutz des Parteienprivilegs geschehen kann, nährt das Gewalt. Gewiss: Die staatlichen Institutionen in Deutschland sind gefestigt und stark genug, um eine verfassungsfeindliche Partei auszuhalten. Aber die Menschen, gegen die Neonazis hetzen, sind es nicht; sie sind verletzlicher als der Staat. Ein Verbot der NPD wäre vorbeugender Opferschutz gewesen.

Natürlich schaltet ein Verbot den Rechtsextremismus nicht aus. Dieser verschwindet nicht, wenn eine Partei, die ihn propagiert, verboten wird. Der Rechtsextremismus bleibt da, er löst sich nicht mit der Partei auf. Wer aber mit dieser Begründung auf ein Parteiverbot verzichtet, der könnte ja auch auf Strafgerichte verzichten: Auch Kriminalität löst sich mit den Urteilen, die Kriminelle bestrafen, nicht auf. Gleichwohl sind Strafurteile ein Beitrag gegen die Verrohung und für die Zivilität einer Gesellschaft.

Die NPD hätte verboten werden können und müssen - nicht, obwohl sie derzeit klein und bei Wahlen unbedeutend ist, sondern gerade deswegen. Niemand hätte beim Verbot behaupten können, dass da eine Art Konkurrentenschutz für die anderen Parteien betrieben wird. An einer kleinen, zerstrittenen, aber bösartigen Partei hätte gezeigt werden können, dass es eine Linie gibt, die eine Partei, ob klein oder groß, nicht überschreiten kann, ohne das Parteienprivileg zu verlieren. Es hätte gezeigt werden können, dass eine Partei, ob klein oder groß, nicht unter dem Schutz dieses Privilegs aggressiv kämpferisch gegen das Grundgesetz und seine Grundwerte auftreten darf.

Karlsruhe hätte am Beispiel der kleinen NPD sagen können: Da wird eine Linie weit überschritten. Das wäre nicht etwa lächerlich gewesen, sondern gerade in Zeiten des aggressiven Rechtspopulismus notwendig und vorbildlich. Es wäre ein Signal gewesen gegen diesen aggressiven Rechtspopulismus. Dessen Gehässigkeiten sind ja zum Teil identisch mit denen, die in der NPD propagiert werden. Ein Parteiverbot wäre ein Akt der Prävention gewesen. Karlsruhe hat sich dieser Prävention verweigert - vielleicht auch mit Blick auf den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der bei Parteiverboten äußerst zurückhaltend ist. Aber soll man wirklich glauben, dass dieses Gericht angesichts der deutschen Nazi-Geschichte dieses Land rügt, wenn es eine Neonazi-Partei verbietet?

Vor fast hundert Jahren, zehn Jahre vor dem Beginn der NS-Herrschaft, hat ein berüchtigter Staatsrechtler namens Carl Schmitt den NS-Terror gegen Juden juristisch vorbereitet. In der Vorbemerkung zu seiner Schrift "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" schrieb er 1923: "Zur Demokratie gehört notwendig erstens Homogenität und zweitens nötigenfalls die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß." Die NPD und der aggressive Rechtspopulismus von heute hat dieses Denken von gestern wieder aufgenommen. Das Verfassungsgericht hat nichts dagegen getan.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: