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Martin-Schulz-Nachfolge Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments

Er ist konservativ, Freund von Silvio Berlusconi und nun Nachfolger von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz - dank eines Deals mit den Liberalen. Dafür muss sie Antonio Tajani mit Posten belohnen.

Die Nervosität war bei den Christdemokraten noch am Tag vor der Entscheidung spürbar. Dass ihr Kandidat Antonio Tajani am Dienstag zum neuen Präsidenten des EU-Parlaments gewählt würde, hielten manche für bestenfalls unsicher. Andere gingen bereits von einem Sieg des Sozialdemokraten Gianni Pittella aus.

Doch über Nacht entstand ein Deal, der das Machtspiel drehte: Die liberale Alde-Fraktion sagte der EVP zu, Tajani zu wählen. Das verhalf dem Italiener am Ende zum Sieg im Rennen um die Nachfolge des SPD-Politikers Martin Schulz. Im vierten Wahlgang erhielten Tajani mit 351 und Pittella 282 Stimmen.

Als Alde-Fraktionschef Guy Verhofstadt seinen Leuten den Handel mit EVP-Anführer Manfred Weber verkündete, lernten die Abgeordneten ein deutsches Sprichwort kennen: "Das ist die Kröte, die wir schlucken müssen", sagte FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff. Ein finnischer Kollege konterte mit einer Lektion aus der vielfältigen Fauna seines Heimatlandes: Der Kollege Lambsdorff wisse sicher, dass es auch giftige Kröten gebe.

Die giftige Kröte ist nun neuer Parlamentspräsident. Ausgerechnet in der Woche, in der Donald Trump zum Präsidenten der USA vereidigt wird, küren die Europäer einen politischen Zögling von Silvio Berlusconi zum höchsten Parlamentarier - jenem Berlusconi, der als italienischer Ministerpräsident lange vor Trump Politik als Show inszenierte.

Die Liberalen haben EVP-Fraktionschef Weber damit aus einer unangenehmen Lage befreit. Schon die Kandidatenkür Tajanis galt fraktionsintern als Niederlage Webers. Hätte Tajani dann auch noch gegen Pittella verloren, wäre womöglich Weber selbst in Gefahr geraten, seinen Posten zu verlieren. Doch der Deal mit den Liberalen lässt den CSU-Mann nun wie den Sieger im Machtpoker aussehen.

Auch Alde-Chef Verhofstadt brauchte dringend einen Erfolg. Erst kurz zuvor war er auf desaströse Art mit dem Versuch gescheitert, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung in seine Fraktion zu holen. Am Dienstag zog Verhofstadt seine eigene Präsidentschaftskandidatur zurück.

Liberale EU-Kommissare sollen gestärkt werden

Für Webers Rettung fordert Alde nun eine Gegenleistung. So soll die EVP die Liberalen schon am Mittwoch bei der Wahl der beiden Vizepräsidenten des Parlaments unterstützen. Auch bei der Besetzung anderer Posten, etwa den Ausschussvorsitzenden, werden die Liberalen wohl stärker vertreten sein, als sie es als viertgrößte Fraktion erwarten dürften.

Vor allem aber will die EVP den Liberalen helfen, die Rolle ihrer fünf Kommissare zu stärken. Angedacht ist offenbar, eine "unserer beiden Stars", wie ein führender Alde-Mann sagt, aufzuwerten. Sowohl Wettbewerbskommissarin Margrete Verstager, die sich regelmäßig mit Konzernen wie Apple anlegt, als auch Handelskommissarin Cecilia Malmström, die das Ceta-Abkommen durch alle Unwägbarkeiten steuerte, kämen als Vizepräsidentin infrage. Zumal einer der sieben Stellvertreterposten ohnehin frei ist, seit Haushaltskommissarin Kristalina Georgiewa zur Weltbank gewechselt ist.

Wie Weber am Dienstagmorgen seinen Parlamentariern eröffnete, habe er deshalb bereits mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker konferiert. Natürlich sagte der nichts zu - die personelle Aufstellung der Kommission ist nicht Sache des Parlaments. Weber vermittelte seinen Abgeordneten jedoch den Eindruck, dass Juncker die Sache freundlich prüfen werde. Aus der Alde-Fraktion ist zu hören, dass die "informelle" Abmachung mit der EVP an noch höherer Stelle gedeckt werde: von den Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten. 17 der 28 Staatenlenker gehören den Parteienfamilien von EVP und Alde an.

Mögliches Opfer des Machtpokers: Oettinger

Ausgerechnet CDU-Politiker Günther Oettinger, der das Haushalts- und Personalportfolio bereits übernommen hat, würde dann womöglich doch nicht Vizepräsident werden. Webers Deal geht also womöglich zu Lasten eines deutschen EVP-Mannes. Das, sagt ein Alde-Mann, hätte sich Oettinger dann mit seinen "offenen Worten" über Chinesen, Frauen und Homosexuelle selbst eingebrockt.

Die großen Verlierer sind indes die Sozialdemokraten. Deren Fraktionschef Gianni Pittella hatte die Vereinbarung mit der EVP aufgekündigt, den Präsidentenposten nach dem Weggang von Martin Schulz den Konservativen zu überlassen. Jetzt ist Tajani trotzdem Parlamentspräsident, die große Koalition aber ist passé.

Zwar hat Weber am Dienstag mehrfach betont, dass die Vereinbarung zwischen EVP und Alde für alle Fraktionen offen sei. Aber man sehe "keinen Punkt, der auf uns einladend wirkt", meinte Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten. Pittella habe den Liberalen ein "respektables Angebot" gemacht. Verhofstadt habe es jedoch nicht einmal an die eigene Fraktion weitergeleitet. Der Liberalen-Chef wiederum will von Pittella nie ein ernst zu nehmendes Angebot erhalten haben.

Die Sozialdemokraten sinnen nun auf Rache: Sie erwägen, Verhofstadt das Vertrauen als Brexit-Unterhändler des Parlaments zu entziehen. Mit einem Parlamentspräsidenten Tajani müsse sich auch die EVP auf schwierige Zeiten gefasst machen, sagt Udo Bullmann, Vizechef der S&D-Fraktion: "Wenn einem diese Provokation vor der Nase sitzt, wird der Drang, sich auf niedriger Schwelle zu einigen, nicht größer werden."

Ein zähes Ringen zwischen beiden Lagern gab es bis zuletzt um die Stimmen der ECR. Pittella diente der Fraktion der britischen Brexit-Tories und der nationalkonservativen PiS-Partei Polens dem Vernehmen nach den zweiten Vizepräsidentenposten an. Außerdem habe er angeboten, den in der ECR ungeliebten Verhofstadt als Brexit-Unterhändler zu opfern. Geholfen hat es Pittella am Ende nicht.