25 Jahre Vertrag von Maastricht:Die Europäer haben ihr Schicksal selbst in der Hand

Genscher unterzeichnet Maastrichter Vertrag

Hans-Dietrich Genscher (links) und Theo Waigel unterzeichnen am 7. Februar 1992 den Vertrag von Maastricht.

(Foto: dpa)

Vor 25 Jahren wurde mit dem Vertrag von Maastricht die EU von heute begründet. Die Hoffnungen waren damals so groß, wie es derzeit die Skepsis ist. Die Regierungen müssen offen erklären, was sie wollen.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Jubel, Trubel oder Pathos waren nicht angesagt. Nüchtern hat Joachim Gauck in Maastricht just an dem Tag über Europa gesprochen, an dem die Union den 25. Jahrestag ihrer politischen Gründungsurkunde begeht. Im Vertrag von Maastricht besiegelte sie formal den Übergang von einer rein wirtschaftlich orientierten hin zu einer politischen Gemeinschaft.

Dass Gauck nicht in Feierlaune war, liegt daran, dass sich die Bürger heute fragen, ob die Europäische Union noch Demokratie, Frieden und Wohlstand garantiert. Dass manche eher glauben, die EU schade diesen Werten. Und zwar auch wegen des Vertrags von Maastricht.

In den 25 Jahren seiner Existenz hat das Vertragswerk eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Bei seiner Unterzeichnung noch als historisches Dokument gefeiert, das den europäischen Einigungsprozess befördert, wirkt es heute wie aus der Zeit gefallen. Es dient als Beleg dafür, dass das geradezu zwanghafte Zusammenrücken in Europa nichts als Verdruss und Enttäuschung befördert.

Die Zweifel werden befeuert durch den erstmaligen Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union, durch permanente Finanztransfers nach Griechenland und riesige Schuldenberge, durch das Gezerre um die Bankenunion oder um die nach wie vor durchlässigen europäischen Außengrenzen, die Migranten nach Europa kommen lassen.

Europa sieht für seine Bürger nicht mehr besonders vertrauenerweckend aus. Und dennoch greift es zu kurz, das mit vertraglichen Unzulänglichkeiten zu begründen, wie es beispielsweise in Berlin immer wieder zu hören ist. Vielmehr machen die gegenwärtigen Probleme vor allem eines deutlich: Die Europäische Union kann für ihre Bürger nur so glanzvoll, so stark und mächtig sein, wie es die nationalen Regierungen in den Mitgliedstaaten zulassen. Was eben auch heißt, dass ein Vertrag nur so gut sein kann, wie das, was seine Unterzeichner daraus machen.

Brüssel wurde zur Schaltzentrale

Den europäischen Verträgen kommt eine besondere Rolle zu. Sie regeln vor allem eines: Wie die Nationalstaaten auf dem von Kriegen heimgesuchten Kontinent friedlich miteinander leben können. Das Besondere am Vertrag von Maastricht ist, dass die Regierungen damals erstmals vereinbarten, immer enger zusammenzurücken und die in den 1950er-Jahren begonnenen wirtschaftlichen Kooperationen auf das Politische auszudehnen.

Die Staaten versprachen, sich künftig außen- und sicherheitspolitisch, innenpolitisch und rechtlich abzustimmen. Die Krönung des europäischen Einigungsprozesses sollte die gemeinsame Währung sein, verpflichtend für alle Staaten der Wirtschafts- und Währungsunion. Brüssel wurde zur Schaltzentrale, in der die Abgesandten der Nationalstaaten die gemeinsamen Angelegenheiten regeln.

Nationale Egoismen machen die EU schwach

Zu Recht weist Gauck darauf hin, dass schon damals nicht alle Regierungen der europäischen Verführung unterlagen. Großbritannien meldete früh Bedenken gegen eine politisch immer enger zusammenrückende Gemeinschaft an. London favorisierte stattdessen eine große Freihandelszone. In Dänemark, Irland, Frankreich und den Niederlanden rebellierten die Bürger gegen die gefühlte Vereinnahmung durch europäische Institutionen. Jede Menge Kompromisse waren nötig, um die Union beisammenzuhalten.

Im Umkehrschluss gilt: Nationale Egoismen machen die Union schwach. Spielen Länder wie Polen oder Ungarn in der Flüchtlingskrise die nationale Karte, erscheint Europa geteilt. Schimpfen deutsche Politiker bei der Einlagensicherung auf die Europäische Kommission, verliert die Behörde an Bedeutung. Ignoriert Italien die Regeln der Bankensanierung und Frankreich die Regeln für Schuldengrenzen, erscheinen die entsprechenden Verträge nutzlos.

Zeit der großen Kompromisse ist vorbei

Es liegt also ganz im Ermessen jeder Hauptstadt, die gemeinsam vereinbarten Vertragsregeln gegen handfeste nationale Interessen abzuwägen. Wer zu den gemeinsamen Vereinbarungen steht, entscheidet sich für Europa. Weshalb uneingeschränkt gilt: Die Europäer haben ihr Schicksal selbst in der Hand.

Die Realität zeigt, die Zeit der großen Kompromisse ist vorbei. Die Wirtschafts- und Währungsunion muss sich entscheiden, ob sie mit Ländern wie Griechenland weitermachen kann. Die Mitgliedstaaten müssen klären, ob sie dem internationalen Steuerdumping- und Handelswettbewerb geeint entgegentreten. Und ob sie in der Flüchtlingsfrage zusammenstehen.

Das wird nicht gehen, ohne nationale Interessen zurückzustellen. Falls sich die Regierungen dazu entschließen, sind sie gut beraten, dem Rat zu folgen, den Bundespräsident Gauck in Maastricht gab. Das Vertrauen der Bürger in Europa kommt nur zurück, wenn die Regierungen offen erklären, was sie wollen.

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