Kommentar

Berlin zahlt den Preis des Nichtstuns

Präsident Erdogan provoziert Berlin aus machtpolitischem Kalkül. Doch eine Eskalation des Streits mit der Türkei nützt Deutschland nichts.

Peter Rásonyi
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Es wäre besser, Erdogans Spiel nicht mitzuspielen. (Bild: Yasin Bulbul / Reuters)

Es wäre besser, Erdogans Spiel nicht mitzuspielen. (Bild: Yasin Bulbul / Reuters)

Auf die Präsidenten Putin, Erdogan und Trump ist Verlass. Berichte und Kommentare mit deren Namen im Titel finden fast immer überdurchschnittliche Leser-Beachtung, wie Redaktoren jederzeit anhand der Online-Klick-Statistiken feststellen können. Diese Eigenschaft verdanken die drei Männer ihrer herausragenden Meisterschaft und Schamlosigkeit in der Kunst der Manipulation der Öffentlichkeit. Mit der Streuung von Traditionsbrüchen, Provokationen und Lügen sorgen sie gezielt für Überraschungen und Aufregung. Das garantiert ihnen öffentliche Aufmerksamkeit, wann immer es ihrem persönlichen Machtkalkül nützt.

Mit seinem unverschämten Nazi-Vergleich und der rücksichtslosen Ankündigung, er werde in Deutschland auftreten, wann immer es ihm passe, hat der türkische Präsident Erdogan am Wochenende genau dieses Spiel auf die Spitze getrieben. Inmitten des Abstimmungskampfs zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei spielt sich der starke Mann vom Bosporus als Provokateur auf, der sich selbst vor dem grossen Deutschland nicht fürchtet. Begebt euch getrost in die Hände Erdogans, so die Botschaft an das türkische Wahlvolk, dann kann euch keine Macht der ach so feindseligen Welt etwas anhaben.

Deutschland ist blindlings in die machtpolitische Falle Erdogans getreten, und dafür ist die Führung in Berlin zu guten Teilen selbst schuld. Erstens erscheint es Erdogan und seinen Ministern nur deshalb ertragreich, in Deutschland Abstimmungskampf zu betreiben, weil sie die dortige türkischstämmige Gemeinschaft als ihre eigenen Bürger und nicht als Deutsche betrachten. Daran ändert auch nichts, wie etwa jüngst die Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel illustrierte, wenn diese in Deutschland aufgewachsen sind und neben dem türkischen auch einen deutschen Pass haben. Das ist nur möglich, weil deutsche Integrationspolitik über Jahrzehnte versagt hat, indem sie Millionen von Einwanderern in Parallelgesellschaften vergass.

Zweitens rächt sich heute die von Bundeskanzlerin Merkel sattsam bekannte Strategie, schwierige und unpopuläre Themen erst einmal treiben zu lassen in der Hoffnung, sie würden sich mit der Zeit von selbst erledigen. Erst die Unentschlossenheit der Bundesregierung gegenüber den Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland hat den Ball in das Feld von Kommunalpolitikern gelassen. Diesen nahmen Politiker wie der letzte Woche durch die Untersagung des Auftritts des türkischen Justizministers Bekir Bozdag zu nationaler Berühmtheit aufgestiegenen Stadtrat von Gaggenau dankbar auf. Abgesehen von legitimen sicherheitspolitischen Erwägungen können Kommunalpolitiker in einem Umfeld, in dem vier von fünf durch Erdogans Provokationen verärgerte Deutsche diese Auftritte ablehnen, von Verboten nur profitieren. Sie kommen dadurch leicht zu Popularität und Ruhm. Die aussenpolitischen Konsequenzen ihres Handelns tragen derweil andere im fernen Berlin.

Auch Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Aussenminister Gabriel könnten ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl innenpolitisch profitieren, wenn sie sich Erdogans Forderungen mit Härte entgegenstellten. Doch beide stehen stellvertretend für die gesamte Regierungskoalition nicht nur innen-, sondern auch aussenpolitisch in der Verantwortung. Und hier hätte Deutschland von einer weiteren Eskalation des Konflikts um die türkischen Abstimmungskampf-Auftritte nichts zu gewinnen. Zwar gibt es viele Argumente, um sich ein Scheitern der Verfassungsreform in der Türkei zu wünschen, welche die besorgniserregende autoritäre Machtentfaltung Erdogans noch verstärken würde. Doch es ist nicht Sache Deutschlands, auf diesen Entscheid Einfluss zu nehmen.

Deshalb ist es besser, ruhig Blut zu bewahren und Erdogans Spiel der fortschreitenden Skandalisierung nicht mitzuspielen. Aussichtsreicher als verfassungsrechtlich problematische Verbote oder kommunale Katz-und-Maus-Spiele wären integrationspolitische Fortschritte. Diese könnten die Identifikation türkischer Einwanderer mit Werten von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten stärken – und folglich mit Deutschland. Sie würden so eher immun gegen unwillkommene Beeinflussungsversuche eines autoritären Herrschers aus dem Ausland.

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