Es ist im Grundsatz völlig legitim, wenn die Regierung eines EU-Mitgliedslandes bei der Besetzung des Spitzenamtes einer EU-Institution Bedenken anmeldet oder sogar eigene Kandidaten vorschlägt. Das gilt auch im Fall des Ständigen Präsidenten des Europäischen Rates, des "Chefs der Chefs", konkret Donald Tusk.

Das Mandat des Polen läuft Ende Mai aus. Gemäß EU-Vertrag können ihn die 28 Staats- und Regierungschefs erneut bestellen oder jemanden anderen wählen, dem sie zutrauen, ihre Politik und EU-Gipfel zu organisieren bzw. die Union in der Welt zu vertreten. Protokollarisch ist Tusk der ranghöchste "Europäer", auf Augenhöhe mit den Präsidenten der USA oder von China. Ein Top-Posten.

Zieht man all das in Betracht, zeigt sich das ganze Ausmaß an Dilettantismus, mit dem die national-konservative Regierung in Warschau versucht, Tusk "abzuschießen". Ihr Motiv ist elend, ideologisch verbohrt. Die PiS-Partei verzeiht dem liberal-konservativen Tusk nicht, dass er ihre Verfassungsbrüche und Verletzungen von EU-Recht kritisierte. Genau das ist Aufgabe von EU-Präsidenten.

Noch ärger ist, dass die Regierung glaubt, nun gleich den nächsten Polen installieren zu können, als Erbpacht. Indem sie einen unbekannten Abgeordneten vorschlägt, der nie Regierungschef war, macht sie sich lächerlich. Zum Glück sieht der EU-Vertrag kein Vetorecht vor. Man muss den Präsidenten eben mit qualifizierter Mehrheit wählen. (Thomas Mayer, 6.3.2017)