Kommentar

Eine absehbare Ohrfeige

Warschau ist mit seiner Kampfkandidatur gegen Donald Tusk krachend gescheitert. Jaroslaw Kaczynskis persönlicher Rachefeldzug gegen Tusk hat das Land in die Isolation geführt.

Meret Baumann
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Der alte und neue EU-Rats-Präsident Donald Tusk (rechts) im Gespräch mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel am Gipfel in Brüssel. (Bild: Yves Hermann / Reuters)

Der alte und neue EU-Rats-Präsident Donald Tusk (rechts) im Gespräch mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel am Gipfel in Brüssel. (Bild: Yves Hermann / Reuters)

Donald Tusk ist verantwortlich für die Flüchtlingskrise, den Brexit, die Anschläge in Berlin und Nizza. So zumindest stellt es die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in einem knapp anderthalb minütigen Video dar, das sie kurz vor dem EU-Gipfel über die sozialen Netzwerke verbreitete. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedsstaaten warf Ministerpräsidentin Beata Szydlo dem Ratspräsidenten zudem nicht nur vor, ihre Regierung zu attackieren. Sie bezichtigte ihn sogar eines Umsturzversuchs, weil seine Partei Bürgerplattform im vergangenen Dezember nach einem heftigen politischen Streit das Parlament blockierte.

Nicht einmal Ungarn und Grossbritannien – Länder, die Polen als seine engsten Verbündeten betrachtet – konnten die Vorwürfe nachvollziehen. Viktor Orban und Theresa May versagten dem von Polen nominierten Gegenkandidaten Jacek Saryusz-Wolski ihre Unterstützung und machten so Warschaus Niederlage zu einer Ohrfeige. Diese Blamage war allerdings vorhersehbar. Im Willen, Tusk zu stürzen, liess Warschau nicht nur jede gesamteuropäische Perspektive vermissen. Es fehlte auch an einer ernsthaften Vorbereitung und einer überzeugenden Alternative. Saryusz-Wolski ist ein respektierter Europaabgeordneter, doch für das Amt des Ratspräsidenten so offensichtlich ungeeignet, dass er nicht einmal ansatzweise eine Debatte auszulösen vermochte. Dies obwohl eine Bestätigung Tusks aufgrund der parteipolitischen Verteilung der EU-Spitzenposten noch vor einigen Wochen keineswegs als Formsache galt.

Die europäischen Regierungen haben Warschaus Manöver als rein innenpolitisch motiviert erkannt. Der Hass, den der PiS-Chef und starke Mann Polens, Jaroslaw Kaczynski, gegen seinen langjährigen politischen Rivalen Tusk hegt, ist rational nur schwer verständlich. Sogar für den Verlust seines Zwillingsbruders Lech beim Flugzeugabsturz von Smolensk, Kaczynskis persönliches Trauma, soll Tusk verantwortlich sein. Selbst in Polen glaubt nur die treuste Wählerschaft der PiS diese von gerichtlichen Ermittlungen widerlegte Verschwörungstheorie. Europas Spitzenpolitiker davon zu überzeugen, dass Tusk deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden könnte, war ein aussichtsloses Unterfangen. Kaczynski trieb es dennoch voran und nahm Polen dabei in Geiselhaft. Sein Rachefeldzug lässt das Land in der EU völlig isoliert zurück.