In Deutschland ist die Debatte über ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union im Windschatten des Brexit eine theoretische – noch. In Großbritannien hingegen könnte er in absehbarer Zeit tatsächlich zum Auseinanderbrechen des Königreichs führen. Schottlands Ministerpräsidentin hat am Montag angekündigt, dass sie das schottische Parlament nächste Woche um Zustimmung für ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit des britischen Nordens bitten wird.
Dieses formelle Votum wird sie gewinnen. Auch die britische Premierministerin Theresa May, die das Referendum autorisieren muss, kann sich angesichts der gärenden Stimmung in Schottland kaum verweigern. 62 Prozent der Schotten stimmten im Juni 2016 gegen den Brexit.
Seit May sich für einen harten Brexit, den radikalen Schnitt mit der EU entschieden hat, liegt das Pro-Unabhängigkeits-Lager erstmals gleichauf mit den Unionisten. Die Wut im Norden ist riesig, nicht nur gegen den Willen der Mehrheit aus der EU gezwungen zu werden, sondern obendrein alle Brücken radikal abbrechen zu müssen.
Will Sturgeon das Referendum wirklich?
Keine Kompromisse, lautet Mays Credo – ob gegenüber den Europäern oder den Schotten. Monatelang sorgsam in Edinburgh ausgearbeitete Vorschläge, wie Schottland auch nach dem Brexit noch eng an die EU angebunden sein könnte, wurden in London allesamt radikal ignoriert.
Und trotzdem pokert Sturgeon hoch. Denn sie hat keine Gewissheit, dass sie das zweite und mit Sicherheit auf lange Zeit letzte Referendum gewinnt. Vielen Schotten macht die Vorstellung Angst, plötzlich eine EU-Exklave im hohen Norden zu sein, noch dazu mit einem für die Staatskasse verheerend niedrigen Ölpreis, dem Wegfall von Londons Subventionen und der drohenden Pflicht, den Euro einzuführen.
Manche meinen deshalb, Sturgeon wolle das Referendum gar nicht wirklich. Sie drohe vielmehr nur, um die politische Kontrolle zu behalten und May am Ende zu einem weniger harten Brexit zu zwingen.
Ein gewagtes Spiel, betrachtet man Mays bis dato knallhartes Vorgehen. Schon am Dienstag könnte die Premierministerin, allen Blockaden des Parlaments zum Trotz, wie geplant den Startschuss für den nur zweijährigen Brexit-Prozess geben. Dann tickt die Uhr, auch für Schottlands und Nicola Sturgeons Zukunft.