Auf den den ersten Blick mag man das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für eine Entscheidung halten, die in Deutschland nur wenige Menschen betrifft.
Wer es jedoch genauer betrachtet, wer an die gesellschaftliche Dimension des Rechtsspruchs denkt und die Debatten der vergangenen Jahre über die Rolle des Islam in Europa im Kopf hat, der wird seine Bedeutung nicht genug preisen können.
Künftig haben Firmen in der Europäischen Union das Recht, Mitarbeiterinnen muslimischen Glaubens das Kopftuch zu untersagen, wenn sie sich selbst Regeln auferlegt haben, die das sichtbare Tragen religiöser, politischer oder philosophischer Zeichen verbieten.
Zeichen im Kulturkampf
Mit einer Herabsetzung oder Benachteiligung, mit einer Ausgrenzung oder Rassismus hat diese Entscheidung nichts zu tun, auch wenn die ersten Lobbygruppen lauthals wettern. Nun hat ein Unternehmen das Recht, sich nach außen so zu geben, wie es das für sich selbst beschlossen hat.
Selbstbewusster als zuvor kann es jetzt die Werte zum Bestandteil seiner betrieblichen Leitkultur erheben, die es für richtig hält. Freilich muss gewährt sein, dass die Betonung der weltanschaulichen Neutralität für alle gilt – für den Träger des Kreuzes genauso wie für den orthodoxen Juden.
Es wäre dennoch verlogen, das Urteil aus der Zeit zu heben und zu behaupten, es hätte nichts mit dem Kulturkampf zu tun, der in der westlichen Welt, besonders aber in Europa, wütet – auch wenn die meisten ihn so nicht nennen wollen.
Jeder ist Teil der Bürgerschaft
In Anbetracht der Wanderungsbewegung vor allem aus den islamisch geprägten Teilen der Erde, angesichts der Tatsache, dass die Integration selbst der Alteingesessenen nicht zur vollsten Zufriedenheit der jeweiligen Gesellschaften gelungen ist, um es gelinde auszudrücken, schließlich im Hinblick auf die wenig überzeugenden Versuche, einen Euro-Islam als Antwort auf die verschiedenen Strömungen im Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln, ist es nur zu begrüßen, wenn die Europäer klarmachen, wofür sie stehen und was sie von ihren Bürgern erwarten – egal, woher sie kommen und welchem Glauben sie anhängen.
In der Demokratie hat der Mensch das Recht, seiner Religion so nachzugehen, wie er es für richtig hält. Gleichzeitig aber ist er im Sinne von Aristoteles ein „Zoon politikon“, ein staatliches, ein bürgerliches Wesen.
In der Gemeinschaft der Gleichen hat es die Pflicht, ebendiese Gemeinschaft und ihre Werte zu erhalten und zu stärken. Das Luxemburger Urteil erinnert an diese Verpflichtung. Ohne sie gäbe es weder die Freiheit noch die Demokratie.