Kommentar

Irrationaler Illiberalismus

Das Vorgehen gegen aus dem Ausland finanzierte NGO und Universitäten ist nur der nächste logische Schritt der ungarischen Regierung hin zum illiberalen Staat. In diesem droht der Rationalität Gefahr.

Meret Baumann
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Orbans Wende in eine stramm nationalkonservative Richtung erfolgt zunächst aus opportunistischem Kalkül. (Bild: Tibor Illyes / AP)

Orbans Wende in eine stramm nationalkonservative Richtung erfolgt zunächst aus opportunistischem Kalkül. (Bild: Tibor Illyes / AP)

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat einst selbst von der Unterstützung George Soros' profitiert. Ab Herbst 1989 studierte er in Oxford dank einem Stipendium des ungarisch-amerikanischen Spekulanten und Philanthropen, der sich unter anderem die Förderung des demokratischen Übergangs im ehemaligen Ostblock zum Ziel gemacht hatte. Darin hätte Soros nicht einiger sein können mit dem damals 26-jährigen Studenten. Orban war als neuer Star am politischen Firmament Ungarns aufgetaucht, als er im Sommer 1989 anlässlich der Prozession zur Umbettung der Leiche von Imre Nagy, dem Helden des Ungarnaufstands 1956, den Abzug der sowjetischen Truppen forderte. Er und seine Partei Fidesz standen in jener Zeit für jugendliche Erneuerung, Marktwirtschaft und radikalliberale Überzeugungen. Orban wurde zu einem international gefeierten Hoffnungsträger.

Seither hat sich viel verändert. Orbans Wende in eine stramm nationalkonservative Richtung erfolgte zunächst aus opportunistischem Kalkül. Der geschickte Taktiker erkannte das politische Vakuum, das mit dem Ende des bürgerlichen Demokratischen Forums (MDF) entstanden war. Mit dem überdeutlichen Wahlsieg im Jahr 2010 kam die rauschartige Wirkung der Macht hinzu. Zu ihrer Festigung liess der Regierungschef seine liberalen Ansichten fallen. In einer Rede im Sommer 2014 erklärte er sein Ziel offen: die Errichtung eines illiberalen Staats.

Auf diesem Weg ist er inzwischen weit fortgeschritten. Die verschiedenen Kontrollbehörden sind mit Vertrauensleuten Orbans besetzt, die massentauglichen Medien sind Sprachrohre der Regierung, die linke Opposition liegt weitgehend selbstverschuldet darnieder. Orban, dessen polarisierende Politik stets im Kampfmodus funktioniert, braucht deshalb einen neuen Feind, und Soros stellt ein dankbares Opfer dar. Viele der von seinen Open Society Foundations unterstützten Nichtregierungsorganisationen gehören heute zu den letzten Kritikern der Regierung. Der Milliardär selbst steht mit seinem Eintreten für Weltoffenheit und Pluralismus für das Gegenteil dessen, was Orban als Ideal vorschwebt. Das Vorgehen gegen die aus dem Ausland finanzierten Bürgerrechtsorganisationen ist somit der konsequente nächste Schritt hin zum illiberalen Staat.

Ebenso logisch ist vor diesem Hintergrund die Reform des Hochschulgesetzes, die in erster Linie auf die Central European University (CEU) zielt. Gleichwohl ist sie unbedacht und riskant. Die CEU ist eine der besten Universitäten ganz Ostmitteleuropas und zieht renommierte Wissenschafter wie ambitionierte Studenten an – zum Vorteil des gesamten ungarischen Bildungsstandorts. Ihr drohendes Aus hat mächtige Fürsprecher mobilisiert, nicht nur in der akademischen Welt rund um den Globus, sondern auch vom amerikanischen Aussenministerium über den deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier bis hin zu Orbans konservativer EU-Parteifamilie EVP. Eindruck machen dürfte Orban aber vor allem die ungeahnt grosse Masse, die am Sonntag neuerlich auf die Strasse gegangen ist. Ihr geht es nicht nur um die CEU, sondern um die Verteidigung von Forschung, Rationalität und Intellektualität. Es sind scheinbar selbstverständliche Werte, denen im illiberalen Staat Gefahr droht.