Die zwei Kandidaten Marine Le Pen und Emmanuel Macron stehen an der Schwelle zum Elysée. Um seine Gegnerin im zweiten Wahlgang überzeugend zu schlagen, wird Macron sein Profil schärfen müssen.
Die Präsidentenwahl in Frankreich wird zum Plebiszit über die Europäische Union. In der Stichwahl stehen sich die furiose EU-Gegnerin Marine Le Pen und der euphorische EU-Befürworter Emmanuel Macron gegenüber. Das EU-Thema hat auch die Diskussion im Wahlkampf über weite Strecken dominiert. Die Immigration von Arbeitskräften und die Auslagerung von Arbeitsplätzen im Zeichen von EU-Binnenmarkt und Globalisierung sind für viele Franzosen, nicht nur für Arbeitslose und sogenannte Modernisierungsverlierer, ein brennendes Thema.
Die Ultranationalistin Marine Le Pen steht jetzt auf der Schwelle des Elysées. Sie ist eine Frau des klaren Profils. Auch wenn sie behauptet, sie sei nicht rechts und nicht links, so vertritt sie doch eine rechtsextrem geprägte politische Grundhaltung: Der starke Staat befiehlt, die Bürger haben zu gehorchen. Für Freiheit und Eigenverantwortung ist wenig Raum. Doch für ihre Anhänger ist Le Pen die Führerin, die das Land aus der Krise reisst und zu neuer Grösse bringt – dass damit viel eher der Staatsbankrott droht, verdrängen allzu viele.
Ebenfalls in die Stichwahl geht Emmanuel Macron. Er ist ein Mann eher diffuser Positionen. Auch er will sich nicht links und nicht rechts verorten, er steht irgendwo und nirgendwo. Seine Anhänger finden seinen jugendlichen Elan verführerisch, immerhin hat er praktisch aus dem Nichts eine «Bewegung» gezimmert. Skeptiker sehen in ihm das Produkt von Marketingstrategen, eine ferngesteuerte Figur.
Die Verlierer sind der bürgerliche Kandidat François Fillon und Benoît Hamon von den Sozialisten; dieser stand geradezu chancenlos da, er blieb sogar weit hinter dem linksutopistischen Wirbelwind Jean-Luc Mélenchon zurück. Die beiden bisher systemtragenden Parteien der Fünften Republik haben eine schwere Niederlage erlitten, und diese dürfte sich im Juni in der Parlamentswahl fortsetzen. Nicht nur haben die Kandidaten beider Parteien nicht überzeugt, es ist auch die Strafe für zehn Jahre Stillstand unter den Präsidenten Sarkozy und Hollande.
Für die zweite Runde der Präsidentenwahl am 7. Mai sagen die Meinungsumfragen eine klare Niederlage für Le Pen voraus. Aber auf den «Front républicain» gegen die extreme Rechte ist kein Verlass mehr, ein Wahlsieg Le Pens liegt im Bereich des Möglichen – falls genügend enttäuschte Bürgerliche zu ihr überlaufen und genügend enttäuschte Linke sich der Stimme enthalten. Um Le Pen überzeugend zu schlagen, wird Macron sein Profil schärfen müssen. Es reicht nicht, nett zu wirken.