Kommentar

Moralgebot im Sündenpfuhl

Nach nur einem Monat in der Regierung müssen gleich vier Minister wegen vergangener Verfehlungen zurücktreten. Emmanuel Macron glanzvoller Start hat plötzlich einen Makel.

Andres Wysling
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Für Präsident Macron ist der neue Wirbel um die zurückgetretenen Minister eine Belastung. (Bild: Gonzalo Fuentes / Reuters)

Für Präsident Macron ist der neue Wirbel um die zurückgetretenen Minister eine Belastung. (Bild: Gonzalo Fuentes / Reuters)

So abrupt hat sich der französische Präsident Emmanuel Macron die «Moralisierung» der Politik, die er im Wahlkampf versprach, mit Bestimmtheit nicht vorgestellt. Nach nur einem Monat in der Regierung müssen gleich vier Minister wegen mutmasslicher vergangener Verfehlungen zurücktreten. Drei von ihnen stehen im Verdacht, öffentliche Gelder zweckentfremdet zu haben, einer steht wegen undurchsichtiger Geschäfte seiner Frau im Zwielicht.

Die Rücktritte erfolgen zum Teil, ohne dass überhaupt ein offizielles Verfahren gegen die vier Minister eingeleitet worden wäre. Es ist möglich, dass gar kein strafbares Handeln vorliegt und dass es nie zu einer Anklage und Verurteilung kommt. Doch die Inhaber politischer Ämter in Frankreich stehen offenkundig unter verschärfter Beobachtung. Missbrauch staatlicher Mittel im Amt wird von der Öffentlichkeit nicht mehr toleriert. Was früher offenbar gang und gäbe war, wird heute angeprangert und hat möglicherweise den Verlust des Amtes zur Folge.

François Bayrou beim ersten Wahlgang am 11. Juni. (Bild: Bob Edme / AP)

François Bayrou beim ersten Wahlgang am 11. Juni. (Bild: Bob Edme / AP)

Am meisten Aufsehen erregt der Abgang von Justizminister François Bayrou, der erst letzte Woche seinen Entwurf für das «Moralisierungsgesetz» vorgelegt hat. Im Wahlkampf hatte er dem bürgerlichen Präsidentschaftskandidaten François Fillon noch Vorwürfe in der Affäre um die vermutete Scheinbeschäftigung von dessen Ehefrau auf Kosten der Steuerzahler gemacht. Jetzt trifft ein ähnlicher Verdacht Bayrou selbst. Fillons Skandal trug massgeblich zu dessen Niederlage bei, und vor allem bewirkte er, dass der Wahlkampf streckenweise zur Moraldebatte wurde. Man wollte aufräumen im Sündenpfuhl.

Für Präsident Macron ist der neue Wirbel eine Belastung. Sein glanzvoller Start hat plötzlich einen Makel. Er wurde mit dem Versprechen gewählt, die französische Politik grundlegend zu erneuern. Jetzt stellt sich heraus, dass die alten Sitten und Gebräuche nicht ausgeräumt wurden. Sie sitzen mit den altgedienten Politikern, die sich Macron angeschlossen haben, weiter am Kabinettstisch und im Parlament. Doch ist die erste Regierungskrise auch eine Chance für Macron, dann nämlich, wenn er daraus eine wichtige Lehre zieht: Die Anwärter auf hohe Ämter müssen besser geprüft werden.

Die «Moralisierung» hat sich in den Fällen der vier Minister und vor allem auch im Fall Fillon von selbst durchgesetzt, noch bevor dazu ein Gesetz verabschiedet wurde. Das ist gut so, denn Moral ist nicht etwas, was von Staats wegen verordnet werden kann. Was geht und was nicht, muss ständig neu ausgehandelt werden. Das ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft, nicht bloss der Regierung und des Parlaments. Dabei gelten die moralischen Leitlinien auch für die hohe Politik.