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Christian Stöcker

Gipfel in Hamburg Vier Lehren aus G20

Es ist vorbei, die Hamburger atmen auf. Sie werden noch lange mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sein. Der Gipfel war in vielfacher Hinsicht ein Debakel - vier Lehren aus G20.
Wasserwerfer-Einsatz in Hamburg (8. Juli 2017)

Wasserwerfer-Einsatz in Hamburg (8. Juli 2017)

Foto: Markus Scholz/ dpa

1. Eine Stadt wie Hamburg ist als Austragungsort ungeeignet.

Schon bevor der erste Stein flog und das erste Auto brannte, hatte der Gipfel begonnen, Hamburg lahmzulegen. Es gab stundenlange Staus, die Innenstadt war weiträumig abgesperrt, Polizeifahrzeuge an jeder Ecke und Hubschrauber über der Stadt erzeugten ein Gefühl der Belagerung. Ab der Auflösung der Demonstration "Welcome to Hell" am Donnerstagabend begannen schwarz gekleidete Hooligans dann an diversen Stellen im Stadtgebiet Scheiben einzuschlagen, Barrikaden und Autos anzuzünden und generell Chaos zu verbreiten.

Marodierende Banden von Menschen mit Hämmern und Brandsätzen zogen am Freitagmorgen durch Wohnviertel, schlugen Schaufensterscheiben ein und setzten Dutzende Autos in Brand, von der Polizei völlig unbehelligt. In der Nacht zum Samstag wurde ausgerechnet das linksalternative Schanzenviertel verwüstet, hier war die Polizei vor Ort, sah aber stundenlang nur zu.

Währenddessen genossen Staatschefs wie Donald Trump und Wladimir Putin ein Konzert in der Elbphilharmonie, die die meisten Hamburger noch nie von innen gesehen haben, und anschließend ein gepflegtes Abendessen. Die Botschaft an die Bewohner der Stadt war unmissverständlich: Solange unseren hohen Gästen nichts passiert, sind eure Bedürfnisse jetzt erst mal zweitrangig.

Wenn schon G20-Gipfel, dann künftig bitte in der Wüste, auf einer Insel oder einem Flugzeugträger.

2. Der "schwarze Block" hat mit Politik nichts zu tun.

Die Leute, die aus Europa angereist waren, um in Hamburg zu randalieren, bezeichnen sich selbst als politisch radikal, als Antifaschisten, Antikapitalisten oder Anarchisten. In Wahrheit, das haben die vergangenen drei Tage einmal mehr gezeigt, werden sie schlicht zu Hooligans, sobald sie die schwarze Kluft anziehen. Kleinwagen anzünden und die Scheiben von Tante-Emma-Läden mit dem Hammer einschlagen ist kein politisches Statement. Und nur weil man vorher ein paarmal "Anti-Anti-Anticapitalista!" skandiert hat, wird aus der Plünderung eines Elektronikladens kein politisches Symbol. "Muerte a la Policia" an Wände zu schreiben und Steine nach Polizisten zu werfen ist in einem demokratischen Rechtsstaat kein Akt des Widerstands.

Fotostrecke

G20-Gipfel in Hamburg: Erst Peace-Zeichen, dann Randale

Foto: HANNIBAL HANSCHKE/ REUTERS

Das Foto von dem jungen Mann mit dem gepflegten Bart, der mit einem iPhone ein Selfie von sich vor einem Feuer mitten im Schanzenviertel schießt, ist symptomatisch: Die "Kapitalismuskritiker" tranken Cola, aßen bei McDonald's und trugen Kleidung von Adidas, Schuhe von Converse und RayBan-Brillen - all das sind Beobachtungen vor Ort. Manche klebten die Markenlogos an Schuhen und Designer-Sonnenbrillen noch schnell mit Gaffertape ab, um sich dann für "Welcome to Hell" die schwarze Kluft überzustreifen.

Wer sich für politisch links hält, täte gut daran, sich von den Heuchlern und Krawalltouristen abzugrenzen. Denn diese Leute wollen nichts. Außer, dass es kracht.

3. Wenn man Polizisten das Gefühl gibt, der Rechtsstaat sei optional, verhalten sie sich auch so.

Am Donnerstag um kurz nach neun, die "Welcome to Hell"-Demonstration war zuerst eskaliert und hatte sich dann zerstreut, saßen drei Studierende aus meinem Master-Kurs an der HAW Hamburg in einer Kneipe auf St. Pauli und aßen zu Abend. Sie hatten gemeinsam mit anderen über die Demonstration berichtet . Plötzlich stürmten etwa fünf gepanzerte Polizeibeamte in das Lokal, schlugen einem Studenten den Presseausweis aus der Hand, zerrten ihn vor die Tür und hielten ihn dort fest. Es gibt zahlreiche Zeugen für den Vorfall. Eine Kommilitonin intervenierte. Einige Minuten später ließen die Polizisten den Studenten wieder frei, sie hatten ihn augenscheinlich verwechselt. Entschuldigt haben sie sich nicht.

Es ist nichts Schlimmes passiert, aber der Vorfall ist eines von vielen Beispielen dafür, was vor sich geht, wenn man Polizisten das Gefühl vermittelt, sie hätten Sonderrechte.

Die vergangenen Tage haben auch beklemmende Bilder von Polizeigewalt geliefert. Polizisten, die friedlichen Demonstranten mit der behandschuhten Faust ins Gesicht schlagen, eine Gruppe von Beamten, die einen Mann mit Krücke und eingegipstem Fuß umwirft und dann auf ihn eintritt, Fotografen, die in vollem Lauf und mit Schlagstock vor dem Unterarm von den Beinen geholt werden.

Für die Polizisten im Einsatz war der Gipfel mit Sicherheit die Hölle: die schweren Rüstungen, hohe Temperaturen, ein Gefühl ständiger Bedrohung, wenig Schlaf, viel Adrenalin, wenige Pausen. Da ist Führung gefragt, damit die Dinge nicht aus dem Ruder laufen. Die Polizeiführung aber hatte die Linie für diesen Gipfel schon am Sonntag zuvor vorgegeben: Gegen einen aktuell gültigen Gerichtsbeschluss räumte sie das Protestcamp in Entenwerder. Was die Gerichte sagen, ist im Moment nicht so wichtig - das war das Signal, das von dieser Entscheidung ausging. Bei der "Welcome to Hell"-Demo wurde geprügelt und Reizgas eingesetzt - nur, weil einige Demonstranten nicht ihre Masken abnahmen.

Rechtsstaatliche Grundsätze wurden als optional behandelt, just zu dem Zeitpunkt, als Diktatoren und Autokraten in der Stadt hofiert wurden. Und die Polizei benahm sich entsprechend. Als es dann aber darauf ankam, als sich das Schanzenviertel in eine rechtsfreie Zone verwandelte, sah sie stundenlang zu, weil es offenbar an Ressourcen mangelte, um die Bedrohungslage zu beherrschen.

Video: Erneut Krawalle in der Nacht zu Sonntag

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4. Diese Gipfel bringen nichts

Die Gipfel-Abschlusskonferenz der Bundeskanzlerin war, um es vorsichtig zu sagen, keine Offenbarung. Die USA machen weiterhin nicht mit in Sachen Klimaschutz, man will sich irgendwie um Afrika kümmern, alle finden Freihandel ganz gut. So weit, so klar muss man das sagen, hätten die Damen und Herren auch mal eben in einer Telefonkonferenz kommen können.

Klar: Als der Gipfel geplant wurde, konnte man noch nicht wissen, dass jetzt ein politischer Nichtsnutz wie Donald Trump im Weißen Haus wohnt. Aber auch dann wäre absehbar gewesen, dass dieses Treffen mit Tausenden von Delegierten und gewaltigen Einschränkungen für alle Hamburger den Aufwand kaum rechtfertigen würde.

Es ist dringend geboten, sich andere, neue Formate auszudenken, in denen sich Staatsspitzen austauschen können. Ohne dabei eine Großstadt in Geiselhaft zu nehmen.

Übrigens, einer fand den Gipfel richtig toll : Donald Trump.

G20-Gipfel, Protest und Randale: Die SPIEGEL-ONLINE-Videos