Kommentar

Puigdemonts kalkulierte Flucht

Mit seiner Absetzung nach Brüssel schützt sich der bisherige Regionalpräsident nicht nur gegen den Zugriff der spanischen Regierung. Er erhält damit auch die Stimme der Separatisten am Leben.

Werner J. Marti
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Eine Abbildung des katalanischen Regionalpräsidenten Puigdemont in einem Souvenirshop in Barcelona. (Bild: Jon Nazca / Reuters)

Eine Abbildung des katalanischen Regionalpräsidenten Puigdemont in einem Souvenirshop in Barcelona. (Bild: Jon Nazca / Reuters)

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen der spanischen und der bisherigen katalanischen Regierung von Regionalpräsident Puigdemont geht auch nach dessen Absetzung weiter. Soweit ersichtlich, ist es Madrid zwar in den letzten Tagen ohne grossen Widerstand gelungen, die volle Kontrolle über Katalonien zu übernehmen und die Separatisten in der Lokalregierung und im Parlament auszuschalten. Doch in einem möglicherweise geschickten Schachzug hat sich nun Puigdemont mit der einen Hälfte seines Kabinetts nach Brüssel abgesetzt. Nachdem es zuerst so ausgesehen hatte, als ob die Separatisten einfach in Belgien ihre Haut retten und um politisches Asyl ersuchen wollten, hat Puigdemont am Dienstag verneint, dass er Asyl beantragen werde. In der Tat dürfte er in Belgien seine Festnahme auch höchstens verzögern können. Er spricht zwar von fehlenden Garantien für einen fairen Prozess in Spanien, doch es ist unwahrscheinlich, dass ein anderes EU-Land diese Sicht übernehmen wird. Ein Europäischer Haftbefehl führt in der Regel zur raschen Überführung eines Gesuchten in das Land, das gegen ihn vorgeht.

Wie Puigdemont am Dienstag in Brüssel erklärte, hat sich seine Regierung zweigeteilt, damit er mit einem Teil der Minister im Zentrum der EU auf das Problem von Katalonien aufmerksam machen könne, während sich sein Stellvertreter mit dem Rest des Kabinetts der Geschäfte in Barcelona annehme. Puigdemont möchte damit wohl erreichen, dass die Stimme der abgesetzten Regierung bis zu den Wahlen vom 21. Dezember nicht verstummt, auch wenn die übrigen Minister in Spanien verhaftet werden sollten. Mit rechtlichen Einsprachen könnte er die Auslieferung wohl bis im Dezember verzögern.

Es sieht nun jedenfalls so aus, als ob die Separatisten sich auf die Neuwahl des Regionalparlaments konzentrieren wollten. Alles deutet darauf hin, dass der 21. Dezember zum nächsten grossen Kräftemessen werden wird. Die gegenwärtige Ruhe dürfte damit im Zusammenhang stehen. Die Separatisten haben bisher auf massiven zivilen Widerstand verzichtet. Dies hätte die Ausschaltung der Regionalregierung nur verzögert und wohl zu Gewalttätigkeiten und Unruhen geführt, welche die Teilnahme der Separatisten an den Wahlen gefährdet hätten.

Wenn sich beide Seiten nun auf die Wahlen konzentrieren, ist dies insofern positiv, als dies bedeutet, dass der Konflikt damit nicht auf der Strasse ausgetragen wird, sondern an der Urne, wo er in einer Demokratie auch hingehört. Doch stellt sich die Frage, ob das Resultat des Urnengangs den Konflikt einer Lösung näherbringen wird. Im besseren Fall für Madrid verlieren die Separatisten ihre Mehrheit, doch würde es dann wegen der grossen ideologischen Gegensätze wohl schwierig, eine Mehrheitsregierung aus den übrigen Parteien zu bilden. Schwieriger würde es, sollten die Separatisten wieder eine absolute Mehrheit erreichen. Puigdemont fragte am Dienstag, ob Madrid dann dieses Resultat akzeptieren werde. Doch was heisst in diesem Fall «akzeptieren»? Die spanische Regierung hält an der unauflöslichen Einheit der Nation fest. Der Konflikt wäre also wieder auf Feld eins, ausser wenn die beiden Seiten das Resultat zum Anlass nähmen, das Verhältnis zwischen Madrid und Katalonien neu auszuhandeln.