Flucht nach vorn
Die Installation eines militärischen Standbeins ist nach dem Brexit-Schock nicht zuletzt ein Akt der Selbstvergewisserung, dass das europäische Projekt lebt. Ein Kommentar von Stephan Israel.
Erstaunliches spielt sich gerade ab in der EU. Da ist viel die Rede von den Zentrifugalkräften, welche die Union auseinanderreissen könnten. Doch jetzt, da einige Mitgliedsstaaten bei der Verteidigung stärker kooperieren möchten, wollen fast alle dabei sein. Keiner will offenbar zum EU-Mitglied zweiter Klasse werden.
Nach Schengen und der Eurozone legt die EU mit der Verteidigungsunion den Grundstein für einen neuen Club im Club. Sie gibt sich ein militärisches Standbein. Es geht nach dem Brexit-Schock nicht zuletzt um einen Akt der Selbstvergewisserung, dass das europäische Projekt lebt und Integration weiterhin möglich ist. Es hat auch etwas von einer Flucht nach vorn.
Wenn die Europäer die Fragmentierung ihrer Streitkräfte reduzieren, ist das bestimmt sinnvoll. Die Mittel können sicher effizienter eingesetzt werden, wenn nicht jeder teure Rüstungsgüter separat anschafft und kostspielige Kapazitäten bereithält. In Zeiten von Donald Trump können sich die Europäer für ihre Sicherheit auch nicht mehr ausschliesslich auf die Amerikaner verlassen.
Die Gefahr besteht aber, dass die EU ähnlich wie bei der grenzenlosen Reisefreiheit von Schengen und bei der Einheitswährung Erwartungen weckt, die enttäuscht werden könnten. Beim Start sind jetzt zwar fast alle Mitgliedsstaaten an Bord. Zusagen für mehr Kooperation könnten sich aber rasch als Lippenbekenntnisse erweisen. Sobald es konkret wird, dürfte man in vielen Hauptstädten wieder auf nationale Souveränität pochen. Die sogenannte Verteidigungsunion der EU wird so aber nicht viel mehr als ein Papiertiger sein.
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