Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Druck auf SPD nach Jamaika-Debakel steigt

Den deutschen Sozialdemokraten kommen Zweifel. Zweifel, ob ihre Weigerung, erneut eine Grosse Koalition einzugehen, nach dem Scheitern von «Jamaika» noch so überzeugend ist wie am Abend der Wahl. Bleibt die SPD dabei, kommt es wahrscheinlich zu einer Neuwahl des Bundestags. Diese Aussicht verschreckt die Parteispitze. Profitieren werde, so fürchtet man, vor allem die rechte Alternative für Deutschland (AfD). Die SPD aber dürfte erneut verlieren und gar in jenen Abgrund unter 20 Prozent stürzen, wo ihr AfD und FDP im Nacken sitzen.

Noch schlimmer: Auch nach Neuwahlen wäre eine Grosse Koalition vermutlich wieder die einzige realistische Möglichkeit, eine Regierung zu bilden. An ein Bündnis von Union, FDP und Grünen glaubt niemand mehr. Warum also nicht gleich? Warum nicht nach ein paar Wochen Bedenkzeit, nach dramatischen Appellen des sozialdemokratischen Bundespräsidenten und aus Sorge um Deutschlands Pflichten in der Welt doch noch einmal mit Angela Merkel regieren? Oder wenigstens eine Minderheitsregierung der Union tolerieren?

Am Wahlabend war der Gang der SPD in die Opposition die einzig richtige Antwort auf die schwere Niederlage. Zwei Grosse Koalitionen mit Merkel hatten die Partei zermürbt und ihre Wähler frustriert. «Alles, nur nicht das!», hiess die Losung des Tages. Die Partei müsse sich zuerst erneuern, bevor ans Regieren wieder zu denken sei. An der Basis fühlt man immer noch so, an der Spitze aber wächst die Einsicht, dass man sich in eine strategische Sackgasse begeben hat.

Video: Die Kanzlerin gibt sich unbeeindruckt

Die Verweigerung der SPD ist nun mitschuldig, falls die Deutschen noch einmal an die Urne müssen. Und wie soll die Partei den Wählern erklären, dass sie im Bund eine Grosse Koalition ablehnt, wenn sie in Niedersachsen aus Not gerade eine neue gebildet hat – und in Berlin nach Neuwahlen vielleicht exakt dafür wieder benötigt wird? Man kann die Verzweiflung der SPD ja verstehen, nur noch als Merkels Reserverad zu dienen. Gleichzeitig beschreibt das ihre aktuelle Funktion im Machtgefüge ziemlich genau. Solange sie programmatisch in die Mitte drängt, und das tut sie seit Gerhard Schröder, wird sie da eben auch gebraucht.

Faktor Schulz

Die strategische Debatte ist verknüpft mit dem Machtkampf um die Führung. Martin Schulz konnte am Wahlabend nur Chef bleiben, weil die Partei ihre innere Reinigung durch den Gang in die Opposition vollzog. Nun aber kann er nur an der Spitze bleiben, wenn er darauf zurückkommt. Das restliche Führungspersonal hält es jedenfalls für ausgeschlossen, noch einmal mit Schulz in Neuwahlen zu ziehen. Dann aber wäre es konsequent, sofort jenen Generationswechsel zu vollziehen, den man bis 2019 aufschieben wollte.

Nach einem Bericht der «Frankfurter Allgemeinen» (FAZ) wird hinter den Kulissen bereits eine Erklärung vorbereitet, die Schulz' Kehrtwende überzeugend begründen könnte. Schulz müsste Merkel, die Neuwahlen ebenso sehr fürchtet wie die SPD, wesentliche Zugeständnisse in der Europapolitik abringen. In zwei Wochen würde der leidenschaftliche Europäer vor die SPD-Delegierten treten und sagen: Europa wartet auf eine stabile deutsche Regierung. Wir müssen Emmanuel Macron antworten und mit Frankreich das europäische Projekt retten. «Einmal Opposition und zurück» nennt die FAZ die waghalsige Operation.

So weit ist die Partei noch nicht. Aber wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Schulz heute empfängt, wird er ihm vermutlich zu solchen Überlegungen und zu Gesprächen mit Merkel raten. Es wäre eine Überraschung, wenn dieser sich nicht wenigstens darauf einliesse.

Jede erneute Grosse Koalition – auch eine heimliche als Reservemehrheit einer Merkelschen Minderheitsregierung – brächte für die SPD enorme politische Risiken mit sich. Ihre neu gewonnene Glaubwürdigkeit wäre erschüttert, ihr Stolz von neuem verletzt. Bei der Verweigerung zu bleiben, wäre aber auf längere Sicht vielleicht nicht weniger gefährlich. In der Opposition hat sich die SPD in der Vergangenheit jedenfalls nicht besser erneuert als in der Regierung. Wenn aber Regierung und Opposition, frei nach Franz Müntefering, gleichermassen Mist sind, warum braucht es dann die Partei überhaupt noch?