Afrikaner, die es nach Spanien geschafft haben: Im Hafen von Algeciras haben sie EU-Land unter den Füßen. Der Aktionsplan der Union soll unkontrollierte Migration beenden.

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Und wieder treffen sich die Chefs von EU und Afrika. Frieden und Sicherheit sind in Abidjan die Themen, Investitionen, Handel, Demokratie, Menschenrechte – und Migration. Letzteres überschattet alles. Mit seinem abschreckenden "extra-territorialen Migrationsmanagement" wolle die EU wenig zimperliche Potentaten als ausgelagerte Türsteher Europas anheuern, warnen Kritiker. Weg vom Mittelmeer – aus dem Auge, aus dem Sinn.

Beim Ziel "Fluchtursachenbekämpfung" – d. h. Perspektiven junger Afrikaner verbessern – herrscht Einigkeit. Über das Wie weniger. Mit der brutalen Kolonialgeschichte und dem eklatanten Wohlstandsgefälle war Entwicklungszusammenarbeit für Europa ein moralischer Imperativ. Doch Schuldgefühle allein ergeben keinen guten Businessplan. NGOs leisteten Pionierarbeit und fördern lokale Initiativen. Rasante Fortschritte wurden in Asien erzielt, kaum in Afrika, dem Hauptempfänger von Entwicklungsgeldern: Seit 1960 war es die Summe von sechs Marshallplänen, stellt der skeptische Ghanaer George Ayittey fest. Die Stimmen afrikanischer Kritiker wie Dambisa Moyo ("Dead Aid") oder James Shikwati ("Fehlentwicklungshilfe") ähneln einander in zentralen Punkten: Nach zwei Billionen Dollar an Entwicklungsgeldern stehe Afrika schlechter da als zu Beginn der "Almosenindustrie". Der Kontinent bewege sich in einem Hamsterrad aus Abhängigkeit und Korruption.

Europäische Besserwisserei

Weniger um Transferzahlungen geht es, als um faire Handelsbedingungen, lautet die aufgeklärtere Version europäischer Bringschuld. Die schwankenden Weltmarktpreise für Afrikas Erze wie Coltan oder Kobalt haben sich vervielfacht – doch sie verfestigen Abhängigkeiten, alimentieren Eliten, schüren Konflikte und helfen ohne Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Industrie kaum der breiten Masse. So bleibt der Kontinent Geisel der Rohstoffe. Dass Bildung, speziell für Frauen, der nachhaltigste Weg für Wirtschaftswachstum und langsamere Bevölkerungszunahme ist, haben Länder wie Thailand binnen einer Generation bewiesen. Doch müssen Frauen dann Arbeitsplätze finden. Liegen Lösungen weniger in europäischer Besserwisserei als in asiatischen Modellen?

Chinas Aufstieg ist ein entwicklungspolitisches Reizthema: Peking agiere als egoistischer Ressourcensicherer und reiße sich ganze Länder unter den Nagel: Ackerland werde Bauern entzogen und treibe diese in die Slums der Städte. "Hartnäckige Internetmythen", schreibt die Expertin Deborah Brautigam in Will Africa Feed China?. Gerade einmal 2500 km² habe China erworben.

Bei der Suche nach Schuldigen geraten Ursache und Wirkung durcheinander. Afrikanische Slums explodieren, weil die Bevölkerung dank besserer Gesundheit exponentiell gewachsen ist und die traditionelle Wirtschaft eine rasant wachsende Bevölkerung nicht aufnehmen kann. Afrika ist nicht wegen der Globalisierung arm, sondern weil der Welthandel am Kontinent vorbeifließt. Sein Anteil lag 1948 bei 7,4 Prozent, heute bei zwei, ohne Nordafrika und der Republik Südafrika sind es gar nur bei 0,8 Prozent.

Die lange zu Recht kritisierten EU-Agrar-Exportsubventionen nach Afrika gibt es nicht mehr. Afrika sind Marktschutzmaßnahmen erlaubt. Ghana erhöhte die Zölle auf Geflügelfleisch. Nigeria, Kamerun oder Senegal haben den Import verboten.

Gerne projizieren wir unsere Vorstellungen von feinen Biomärkten auf Afrikas ländlichen Raum. Als habe Asiens grüne Revolution – besseres Saatgut, Bewässerung, auch ohne Glyphosat-Einsatz – nie stattgefunden, betreibt Afrika großteils Subsistenzlandwirtschaft, die den Kontinent kaum ernähren kann. Afrika könnte asiatische Erfahrungen gut gebrauchen: Thailand allein exportiert mehr Agrarprodukte als Subsahara-Afrika zusammen.

Small is not helpful

Entwicklungspolitik sah in China oder Brasilien Direktinvestitionen vor, während Afrika hilfsbasierte Politik zuteilwurde. Eine Kultur der Ausgrenzung wurde geschaffen: Selbstversorgung statt Diktat der Märkte, Fair Trade als einwandfreies Modell. Small mag beautiful sein, aber nicht immer helpful. Was Afrika benötigt, sind Investitionen, die Technologie und Jobs bringen, meint selbst Joseph Stiglitz, einst Kronzeuge der Globalisierungskritiker. Es brauche keine neuen Geschäftsmodelle, sagte der Unternehmer Mo Ibrahim kürzlich beim 5. Africa-CEO-Forum: "Wir müssen nur Korruption und staatliche Misswirtschaft loswerden, stattdessen Rechtssicherheit schaffen."

Kein Zwanzigstel an ausländischen Direktinvestitionen weltweit entfällt auf Schwarzafrika. Doch China bestreitet dort mittlerweile mehr als EU und USA zusammen. Skeptiker wittern skrupellose Ausbeutung der Bodenschätze, neue Umweltdesaster, Lohndumping, Kinderarbeit. Klar, Peking stillt seinen Rohstoffhunger, will Absatzmärkte und inszeniert sich als weise Weltmacht. Länder wie Äthiopien oder Ruanda nehmen die Angebote gerne auf, statt sich von Europa bevormunden zu lassen.

Private Investoren schauen genauer, was mit ihrem Geld geschieht, als EU-Staaten, die gegenüber ihren Steuerzahlern selten nachweisen können, dass die Aufwendungen tatsächlich nachhaltig sind. Die Vernetzung lokaler Technologie-Start-ups schafft neue Dynamiken, etwa im "Silicon Savannah" in Kenia. Marktwirtschaft bleibt das effizienteste System zur Schaffung von Wohlstand, aber nicht allein das beste für dessen gerechte Verteilung. Ungezügelter Raubtierkapitalismus ohne Rechtsstaat ist überall verheerend, doch Abschottung festigt archaische Strukturen.

Konsumenten sind gefordert

Für Konfliktverhütung, Flüchtlinge aus Südsudan in Uganda, aus Somalia in Kenia ist internationale Unterstützung unabdingbar. EU-Geldzahlungen an dubiose Partner, um uns Afrikaner vom Leib zu halten, sind kaum nachhaltig. Nicht nur globale Warenströme, auch universelle Werte müssen die Modernisierung prägen. Europas Konsumenten und die Zivilgesellschaft sind ebenso gefordert. Ethik und entsprechende Politik haben nicht ausgedient. (Gunther Neumann, 28.11.2017)