Mehr als zwei Jahre hat Nordkorea jegliches Gesprächsangebot abgelehnt. Es ist kein Zufall, dass Pjongjang nun ausgerechnet auf Seoul zugeht. Auf Moon Jae In lastet eine grosse Verantwortung.
Auf der Foto am Ende eines langen Tages lächeln beide Delegationschefs ungefähr gleich verhalten, aber sie reichen sich immerhin die Hand. Die gemeinsame Erklärung, die am Dienstag veröffentlicht wurde, liest sich wie ein Deal: Nordkorea nimmt voraussichtlich an den Olympischen Spielen teil, wie man es im Süden gerne sähe. Zudem sollen weitere Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, unter anderem über die militärische Zusammenarbeit an der innerkoreanischen Grenze. Doch so wünschenswert das Tauwetter im eiskalten Winter der koreanischen Halbinsel ist, es ist allem voran die Folge eines geschickten Schachzugs des nordkoreanischen Regimes. Kim Jong Un hält das Heft in der Hand. Über seine Motive, ausgerechnet jetzt auf das Gesprächsangebot des Südens einzugehen, kann nur spekuliert werden.
In den vergangenen zwölf Monaten wurden zwei wichtige Spieler im Nordkorea-Konflikt ausgetauscht. Auf Barack Obama, der Kim Jong Un so weit als möglich ignorierte, folgte Donald Trump – ein unberechenbarer Narzisst, der auf jede Provokation Pjongjangs eingeht und auf gleichem Niveau zurückschlägt. Kim Jong Un testete seit Trumps Amtsantritt drei neue Langstreckenraketen und eine Atombombe, daneben rund ein Dutzend kleinere Geschosse, und die Spirale der Drohungen zwischen Washington und Pjongjang drehte sich bisweilen beängstigend schnell. In Südkorea dagegen wurde die konservative Hardlinerin Park Geun Hye durch Moon Jae In ersetzt. Der neue Präsident zeigte von Anfang an Bereitschaft, mit Kim Jong Un zu reden. Pjongjang liess Moon zappeln, bis eben an Neujahr. Die Tür in Seoul liess sich leicht öffnen: Innerhalb von einer Woche traf man sich in Panmunjom.
Erst im Dezember hatte das Regime erklärt, mit dem Test einer neuen Langstreckenrakete sei die Entwicklung zur Atommacht abgeschlossen. Was die politischen Konsequenzen dieses neuen Selbstverständnisses sind, ist bis jetzt unklar. Die Olympischen Spiele sind aber ein willkommenes politisches Vehikel mit gleich mehreren Möglichkeiten: Der Auftritt seiner Sportler und der Cheerleader kann ein Propaganda-Coup Nordkoreas sein, der sich in dem isolierten Land dankbar ausschlachten lässt. Vielleicht haben die Uno-Sanktionen, die allein im vergangenen Jahr drei Mal verschärft wurden, aber auch dazu geführt, dass das Regime Hilfe braucht – und Pjongjang an jene Tür klopfte, die sich am ehesten öffnen liess. Gespräche mit Südkorea könnten zudem dessen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, Seouls engstem Verbündeten, herausfordern – was Kim nur recht sein kann. Denn in den Wirren der amerikanischen Aussenpolitik unter Trump scheint sich etwas nicht geändert zu haben: Gesprochen wird mit Nordkorea nur, wenn auch das Atomprogramm auf den Tisch kommt.
Dass Südkorea darüber hinwegsieht und geradezu übereifrig Kims ausgestreckte Hand ergriff, ist für einen Nachbarstaat mit einer schwer bewaffneten Grenze und nach mehr als zwei Jahren Funkstille zwar verständlich. Damit hat Moon Jae In aber gleichzeitig eine riesige Verantwortung auf sich geladen. Er hat als Berater des früheren Präsidenten Kim Dae Jung hautnah miterlebt, wie Nordkorea seine Verhandlungspartner von Washington bis Seoul immer wieder über den Tisch gezogen hat. Gespräche sind besser als keine – doch voreilige Zugeständnisse gab es im Fall von Nordkorea schon zu viele.