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Wieland Wagner

Raketentest in Nordkorea Die Empörung ist verlogen

Mit einem neuen Raketentest fordert Diktator Kim Jong Un die Großmächte heraus. Ernsthafte Konsequenzen hat er auch diesmal nicht zu befürchten.
Kim Jong Un, Militärs im Kontrollzentrum: Seelenruhig den Startbefehl geben

Kim Jong Un, Militärs im Kontrollzentrum: Seelenruhig den Startbefehl geben

Foto: KCNA VIA KNS/ AFP

Die Provokation war angekündigt. Und ebenso wenig überraschend waren heute die Reaktionen von Washington bis Seoul, nachdem Nordkoreas Diktator Kim Jong Un seine Drohung wahrmachte und eine Langstreckenrakete über Japans südliche Inselkette Okinawa hinweg Richtung Weltall feuern ließ.

Als "destabilisierend und provokativ" kritisierte die amerikanische Sicherheitsberaterin Susan Rice den Test. "Absolut unakzeptabel" nannte ihn Japans Premier Shinzo Abe. Und auch die südkoreanische Präsidentin Park Geun Hye bekundete ihre Empörung.

Aus Washington, Tokio und Seoul werden nun wieder verschärfte Sanktionen gegen das stalinistische Regime gefordert. So war es bereits im Januar, als Kim Nordkoreas vierten Nukleartest veranstaltete. Auch diesmal steht für die USA und ihre Verbündeten fest, wer Kim endlich zur Räson bringen soll: China, der engste Verbündete des Kim-Regimes.

Die Empörung über den Jung-Diktator ist berechtigt, aber sie ist reichlich verlogen. Denn auch diesmal ist keine Macht daran interessiert, Kim ernsthaft zu schaden.

Vielmehr wird das Feindbild Kim weiter gebraucht: Von den USA, die seine Drohgebärden nutzen, um die Verbündeten Japan und Südkorea gegen China in Stellung zu bringen. Von Japan, wo Premier Abe seine Landsleute davon überzeugen will, die Friedensverfassung zu ändern. Und von Südkorea, wo hartgesottene Parteifreunde von Präsidentin Park davon träumen, auch den Süden nuklear aufzurüsten.

Somit sind sich alle Beteiligten letztlich auch mit Peking einig: Chinas Machthaber wollen ihren Verbündeten Kim auf keinen Fall destabilisieren. Sie fürchten, dass im Falle seines Sturzes Millionen Flüchtlinge aus Nordkorea nach China strömen könnten. Zugleich wollen sie eine Wiedervereinigung der Nordens mit dem proamerikanischen Süden verhindern. Sie brauchen Nordkorea als Puffer gegen die westliche Supermacht.

Im Video: Machthaber Kim beobachtet Raketentest

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All diese geostrategischen Interessen kennt Kim, und so konnte er heute seelenruhig den Startbefehl für seine Rakete geben. Mit dem Test wollte er den darbenden Untertanen offenbar beweisen, wie loyal und erfolgreich er die Aufrüstungspolitik seines Vaters Kim Jong Il fortführt. Am 16. Februar begeht Nordkorea den Geburtstag von Vater Kim, der heutige Test ist auch als Geschenk für den verstorbenen Senior zu verstehen.

Noch wichtiger aber ist: Kim will die Reichweite seiner Langstreckenraketen verbessern und sein militärisches Drohpotenzial gegenüber den USA erhöhen. Langfristig will er Washington dazu bringen, sein stalinistisches Regime anzuerkennen.

Ob der heutige Test in technischer Hinsicht ein Erfolg war, dürfte sich erst in den kommenden Tagen herausstellen. Aber selbst aus Fehlern hat Nordkorea bisher stets gelernt. Mit jedem Raketentest und mit jedem Atomversuch verbessert es die Zielgenauigkeit seiner Waffen.

Umso dringender ist es, Kim von seinem Nuklearprogramm abzubringen. Und dafür bietet sich letztlich nur ein Ausweg: Die USA dürfen die Verantwortung für Nordkorea nicht länger auf China abschieben oder Sanktionen fordern, die dann doch nicht wirken. Stattdessen sollten sie endlich mit Nordkorea verhandeln, wie sie es erfolgreich mit Iran gemacht haben.

Sonst dürfte Kim schon bald wieder Raketen abschießen. Aber dann womöglich unangekündigt.